Ab jetzt ist Ruhe
atmete tief ein.
»Was Sie nicht sagen!« Stefan wandte sich mit gespielter Begeisterung dem Dicken zu. »Was hat Ihr Onkel denn Schönes gemacht?«
»Rottenführer in Mauthausen«, sagte der Dicke ungerührt.
»O, da sind Sie bestimmt sehr stolz auf ihn, was?« Stefan schien Spaß an dieser Unterhaltung zu finden.
»Das kannst du aber laut sagen, Junge! Und nicht nur Kommunisten! Juden, Asoziale, Homos, Zigeuner – alles!«
»Toll!«, rief Stefan. »Und was macht ihr Onkel heute so?«
Josef nahm einen tiefen Zug aus seiner Asthmapumpe. »Sie haben ihn verurteilt, die Verräter. Lebenslänglich!«
»Ach herrje«, Stefan spielte den Mitfühlenden. »Der Arme!« Jetzt musste ich mir doch das Lachen verkneifen. Der Dicke schien nicht zu merken, dass Stefan sich über ihn lustig machte. »Ja, wem sagst du das«, stöhnte er. »Aber unser Tag wird kommen«, fügte er pathetisch hinzu.
»Sicher doch«, sagte Stefan. »Das wird er. Und Sie können ja eigentlich als leuchtendes Vorbild vorangehen und schon mal anfangen, oder?« Josef guckte verwirrt und fingerte nach einer neuen Zigarette. »Wie meinst du das?«, fragte er.
»Ganz einfach«, erklärte Stefan und lehnte sich zu ihm hinüber. Ich hielt die Luft an und ließ den Dicken nicht aus den Augen. »Ich bin Kommunist und meine Freundin da hinten ist Jüdin. Zwei auf einen Streich sind doch ein guter Anfang, oder?«
Josefs Gesicht nahm plötzlich einen debilen Ausdruck an und färbte sich rot. Ich hätte einiges darum gegeben zu erfahren, was jetzt in seinem widerlichen Schweinskopf vorging. Doch nein – eigentlich wollte ich es lieber nicht wissen, eigentlich wollte ich hier raus. Und ich war froh, dass der Dicke in diesem Moment offenbar eine ähnliche Idee hatte. Er fuhr rechts ran und schrie: »Raus!«
»Klar doch, Kamerad«, sagte Stefan fröhlich, stieg aus und ließ sich von mir unsere Rucksäcke reichen. Dabei stieß ich »aus Versehen« die große Flasche Limonade um, die zwischen meinen Füßen gestanden hatte. Sie hinterließ eine große klebrige Pfütze und würde bei der Hitze bald zu gären und zu stinken anfangen. Ich hätte gern noch etwas Gehässiges beim Aussteigen gesagt, doch mir fiel wie immer nichts ein. Erst als wir die Autotüren heftiger als nötig zugeknallt hatten und der Dicke davonbrauste, schrie ich ihm »Nazischwein!« hinterher.
Wir luden unsere Rucksäcke auf und liefen los. Es war Mittag, und die Landstraße glühte und flirrte. Die wenigen Autos, die jetzt unterwegs waren, hielten nicht, und bis zum nächsten Ort waren es etwa zwanzig Kilometer. Ich trottete hinter Stefan her und betrachtete gelangweilt die Blechtasse, die an seinem Rucksack hing und bei jedem seiner Schritte hin- und herbaumelte. Ich hatte Durst und ärgerte mich jetzt, dass ich aus niederen Rachegelüsten meine schöne Limonade geopfert hatte. Meine Laune verschlechterte sich zunehmend, und als ich gerade anfangen wollte, Stefan die Schuld für alles zu geben, hielt ein VW -Bus mit Hamburger Kennzeichen. Vorne ein Mann und eine Frau, hinten zwei lärmende kleine Mädchen. Auch sie wollten in den Süden. An die Adria.
»Aus Ostberlin?«
»Ja.«
»Grau, oder?«
»Geht so.«
Sie gaben uns Wasser und frisches Obst aus ihrer Kühlbox und brachten uns bis zu unserem Zeltplatz.
Wir waren die Ersten dort, suchten uns ein schattiges Plätzchen unter einem Baum, schlugen unser Zelt auf und gingen ins nächste Dorf, um einzukaufen. Als wir wiederkamen, waren auch die anderen da. Wir fielen uns in die Arme, als hätten wir uns eine Woche nicht gesehen, aßen und tranken viel und krochen irgendwann in unsere Schlafsäcke.
Am nächsten Morgen schlürften wir unseren Kaffee und berieten, ob wir weiterfahren oder bleiben sollten. Wir hatten keinen Plan, und wir genossen es, keinen Plan zu haben. Ich wusste nur, dass ich eine Woche später in Budapest sein müsste, um meinen ältesten Bruder zu treffen. Bis dahin ließ ich mich mit den anderen durch das Land treiben.
Das Leben auf der Straße war meistens leicht und unbeschwert. Einmal wurden wir festgenommen, weil wir zu nah an die jugoslawische Grenze gekommen waren. Es gab nicht wenige, die diesen Weg gingen, um in den Westen abzuhauen. Also brachte man uns auf die Polizeistation, durchsuchte unsere Sachen und verhörte uns. Nach ein paar Stunden ließ man uns ziehen, und wir hatten wieder ein Abenteuer erlebt.
In Pécs gingen wir in die Kathedrale, in Harkány ins Thermalbad und in Szeged klauten wir
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