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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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heißer als draußen, und der Geruch von Motoröl und Benzin mischte sich auf unangenehme Weise mit den Ausdünstungen der eng aneinandergepressten Körper. Ich war dem Heulen nah, und auch aus den Gesichtern meiner Freunde sprang nicht gerade überbordende Heiterkeit. Doch wir hielten durch, und nach einer Stunde waren wir da und taumelten mit den anderen aus dem Bus. Von einer Sekunde zur nächsten wechselte unsere Stimmung vom Rande der Verzweiflung in lichte Hoffnung. Angekommen. Endlich! Wir grinsten uns an und schlugen unsere Zelte auf.
    Auf dem Campingplatz herrschte babylonisches Sprachengewirr. Neben Deutsch hörte man vor allem Englisch, Französisch und Holländisch. Neben uns zelteten ein paar Kölner, die wir BRD nannten. Die BRD kam jeden Abend vorbei und borgte sich Lebensmittel von uns, weil sie immer klamm war. Frankreich, das zwei Zelte weiter lag, half uns mit Flickzeug für Susis Zelt aus, dessen Dachnaht beim Aufbau gerissen war, und Holland von schräg gegenüber weihte uns in die Geheimnisse des süßlichen Duftes ein, der von ihnen herüberwehte und den wir nicht zu deuten wussten. Wir hatten Spaß.
    Am Tage fuhren wir in die Stadt, ließen uns durch die Straßen und Geschäfte treiben, die so viel bunter waren als unsere. Wir lungerten in Cafés herum, dösten auf den Wiesen der Margareteninsel dem Abend entgegen und kauften auf dem Markt alles, was wir zum Leben brauchten, und noch mehr Wein, den wir abends tranken, um dann müde und glücklich in unseren Zelten zu verschwinden.
    Am vierten Tag machten wir uns auf den Weg in den Süden. Wir teilten uns in Zweiergruppen und verabredeten uns für den Abend auf dem nächsten Campingplatz. Wir folgten der üblichen Anhalter-Praxis: Das Mädchen stellte sich an die Straße, hielt den Daumen raus, bis ein Auto hielt, und erst, wenn der Fahrer angehalten hatte, kam der Junge hinter dem Gebüsch oder aus dem Straßengraben hervor. Manchmal gaben die Autofahrer Gas, wenn sie die Jungs entdeckten – ob aus Enttäuschung oder Angst, würden wir nie erfahren.
    Der Erste, der uns mitnahm, fuhr einen klapprigen alten Fiat, war ein schweigsamer Handwerker im Blaumann und schmiss uns zehn Kilometer weiter im nächsten Dorf wieder raus.
    Der Nächste war ein dicker kleiner Österreicher, der hinter dem Lenkrad seines riesigen Benz kaum zu sehen war. Auch er machte Anstalten, sofort weiterzufahren, als er Stefan entdeckte, doch er war nicht schnell genug. Er stellte sich als Josef vor und erklärte uns, er mache »in Sanitärporzellan«. Obwohl Josef schwerer Asthmatiker war, rauchte er fast ununterbrochen. Nach jeder Zigarette nahm er einen tiefen Zug aus seinem Asthmaspray, um sich danach gleich die nächste anzuzünden. Genauso wie er rauchte, redete er auch. Hektisch, in kurzen hysterischen Sätzen. Er täte das hier nicht zu seinem Vergnügen, meckerte er. Aber man müsse ja zeigen, dass man Anstand habe. Wir schwiegen höflich. Woher wir denn kämen, fragte er. Aus Berlin. Ach ja, Berlin. Da sei er früher auch oft gewesen. Er sagte das in einem schwärmerischen Ton, den ich nicht nachvollziehen konnte.
    »Wir sind aber aus Ostberlin«, sagte ich. Stefan, der auf dem Beifahrersitz hockte, drehte sich um und gab mir mit einem Blick zu verstehen, dass ich besser die Klappe halten sollte. Und er hatte recht. Die Information, dass wir aus der DDR kamen, hatte uns in diesem Land bis jetzt nicht besonders viel genützt. Hier wurde offen oder versteckt mit Devisen gehandelt, und wer die nicht hatte, war ein Gast zweiter Klasse.
    »Ach so, Ostberlin«, sagte Josef in einem leicht angewiderten Ton. Ich sah im Rückspiegel, wie er das feiste Gesicht verzog und sich sein Blick verdüsterte. »Dann seid ihr wohl Kommunisten, wie?« Er schickte dieser Frage ein nervöses Kichern hinterher. Was für ein Idiot, dachte ich und wäre gern ausgestiegen. Doch der Dicke hatte versprochen, uns bis zur nächsten Stadt mitzunehmen. Also schwieg ich grimmig, und auch Stefan antwortete nicht und starrte aus seinem Beifahrerfenster.
    »Kommunisten also …« Josef ließ nicht locker und zündete sich die nächste Zigarette an. »Mein Onkel hat solchen wie euch gezeigt, wo’s langgeht!«
    »Was wollen Sie denn damit sagen?« Stefan saß plötzlich sehr aufrecht und schaute Josef herausfordernd an. »Was ich damit sagen will? DAS will ich damit sagen«, antwortete der und fuhr sich mit dem rechten Zeigefinger über den fetten Hals. Ich kurbelte das Fenster nach unten und

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