Ab jetzt ist Ruhe
ich nicht mitgenommen. Ich konnte meinen Vater überzeugen, es zu behalten für den Fall, dass ich mal bei ihm übernachten würde. Er kaufte mir die Erklärung ab, und ich besorgte mir eine große, erwachsene Schaumstoffmatratze. Auf der saß ich nun und trank mit mir auf meine Zukunft. Die Musik war gut, die Nacht war weich, und bevor der Abspann zu meinem Film lief, war ich eingeschlafen.
Am nächsten Morgen wurde ich durch das Kreischen der Türklingel aus dem Schlaf gerissen. Ich fror, und in meinem Kopf hing schwer der Inhalt der Rotweinflasche, die neben der Matratze stand. Sie war leer.
Ich zog einen Pullover über und schleppte mich zur Tür. Draußen stand eine schwere, weißhaarige Frau und musterte mich. Der Ausdruck auf ihrem feisten Gesicht wechselte binnen Sekunden von Neugier zu Verachtung.
»Guten Morgen«, schrillte sie mit einer Stimme, die irgendwie gar nicht zu ihrer Gestalt passen wollte. Es klang, als sei ein dünner zänkischer Vogel in diesem Körpermassiv eingesperrt. »Guten Morgen«, antwortete ich und versuchte ein Lächeln, doch mein Gesicht schlief noch.
»Hinrich!« Der dünne Vogel hatte einen sehr scharfen Schnabel, der sich böse in meinen Kopf bohrte. »Ich wohne nebenan. Und ich habe heute Nacht kein Auge zugetan.«
Ich ahnte, dass die nächsten Sekunden über mein Schicksal in diesem Haus entscheiden würden, und zwang mein Gesicht jetzt doch zu einer Art Lächeln. »Das tut mir leid«, sagte ich höflich. »Ich wusste nicht, dass die Wände hier so dünn sind.«
»Die Wände sind nicht dünn«, keifte die Dicke. »Ihre Musik ist zu laut! Es gibt hier eine Hausordnung. Kommen Sie gleich zu mir, dann kriegen Sie die! Außerdem müssen Sie sich ins Hausbuch eintragen, das ist Vorschrift.« Sie bedachte mich mit einem weiteren bösen Blick und verschwand hinter ihrer Wohnungstür. Frau Hinrich also. Na toll. Doch die Dicke und ihr blöder Vogel würden warten müssen.
Ich ging in die Küche, kochte mir einen Kaffee und setzte einen großen Topf Wasser auf den Herd, um mich zu waschen. Ich heizte die Öfen, räumte ein paar Kisten aus, wusch mich, zog mich an, machte mir noch einen Kaffee, setzte mich auf einen Stuhl, rauchte und fühlte mich besser. Dann klingelte ich bei der Nachbarin. Sie öffnete mir und schaute mich vorwurfsvoll an. Ich folgte ihr ins Wohnzimmer. Es roch nach Bohnerwachs und altem Blumenkohl, und es war völlig überheizt.
»Setzen Sie sich!«, befahl die Dicke. »Ich hole das Hausbuch.« Ich hatte keine Lust, mich zu setzen, also blieb ich stehen und sah mich um. Das Wohnzimmer war vollgestellt mit dunklen alten Möbeln, die den Sauerstoff aus der Luft zu saugen schienen. An den Wänden hingen schwere deutsche Landschaften, und auf einer Kommode standen inmitten einer Versammlung aus hässlichen kleinen Porzellanhunden zwei Fotos. Eines zeigte ein Hochzeitspaar, das andere einen Mann in Uniform, trauerumflort. Darüber hing eine liebevoll gerahmte Urkunde, die einem SS -Panzergrenadier namens Erich Hinrich den Besitz des Eisernen Kreuzes II . Klasse bescheinigte. Und zwar im Namen des Führers. Erich Hinrich. Was für ein bescheuerter Name.
»Was machen Sie denn da?«, hörte ich die meckernde Stimme der Frau hinter mir. »Sie sollten sich doch setzen.«
Ich setzte mich, die Dicke ließ sich stöhnend auf einen Stuhl fallen und schob mir ein vergilbtes Heft hin. »Da tragen Sie sich jetzt ein. Wenn Sie Besuch bekommen, der über Nacht bleibt, ist mir das mitzuteilen und ebenfalls einzutragen. Westbesuch muss ich der Polizei melden. Verstanden?« Ich schwieg und trug mich ein. »Nach zweiundzwanzig Uhr keine Ruhestörung mehr, sonst zeige ich Sie an. Und alle zwei Wochen sind Sie mit der Treppe dran.« Sie drückte mir die Hausordnung in die Hand, und ich ging. Als ich in meiner Wohnung war, riss ich die Balkontür auf, als könnte ich dadurch die Wohnung nebenan lüften.
Den Rest des Tages verbrachte ich damit, Möbel zu rücken, Kisten auszuräumen und Regale zusammenzubauen. Am Nachmittag ging ich ins Malergeschäft, um Farbe für den schmutzig gelben Küchenschrank zu kaufen, den die Vormieterin dagelassen hatte.
»Dunkelgrün? Ausverkauft!«, polterte der schwammbäuchige Verkäufer und versprühte dabei einen großen Teil seines Speichels auf meinem Gesicht. »Alle wollen sie Dunkelgrün, weiß der Henker, was die daran finden!« Er schüttelte den Kopf, und noch bevor er seinen Mund zu einer erneuten Spuckattacke öffnen konnte, hatte ich ihm
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