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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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meinem Namen an die Tür. Als ich in der Nacht von der Arbeit zurückkam, war der Zettel verschwunden. Ich war zu müde, um mich lange darüber zu wundern, und legte mich ins Bett.
    Am Morgen darauf befestigte ich meinen Namen erneut an der Tür und ging zum Bäcker. In der Schlange standen nur alte Leute, und auch auf der Straße lief ich an mehr oder weniger grauen und gebeugten Gestalten vorbei. Mir war, als bewegte ich mich durch das Szenenbild eines düsteren Science-Fiction-Filmes, in dem ich die einzige Überlebende einer von Jugend entvölkerten Welt spielte. Es war gespenstisch. Auf der Treppe begegnete ich einer leisen alten Frau, die mit ihrem ebenso schweigsamen Dackel zu ihrer Wohnung hinaufschlich. Ich wünschte ihr einen guten Tag, sie lächelte still und nickte. Mit einem Schaudern schloss ich die Wohnungstür hinter mir.
    Kurz darauf klingelte es. Vor der Tür stand die dicke Hinrich, mein Namensschild zwischen ihren fetten Fingern.
    »Was soll das sein?«, blaffte sie mit spitzer Stimme und hielt mir den Zettel vor die Nase.
    »Das ist mein Namensschild. Stimmt damit was nicht?«
    »Das kann man wohl sagen! Der Name gehört über die Klingel und muss ordnungsgemäß befestigt werden! Das ist Vorschrift!«
    »Aha«, sagte ich und nahm der Dicken den Zettel aus der Hand. »Mach ich heute Nachmittag. Wiedersehen.« Ich lächelte, so freundlich es ging, und machte die Tür vor ihrer Nase zu.
    »Und einen Fußabtreter hat sie auch noch nicht«, hörte ich sie im Hausflur schnauben, dann fiel ihre Tür ins Schloss. Ich las mir die Hausordnung durch, und als ich nichts über Namensschilder fand, heftete ich meinen Namen wieder draußen an die Tür. Ihr Waffen- SS -Mann hatte seinen Krieg nicht gewonnen, ihren würde sie auch verlieren. Gutgelaunt fuhr ich zur Arbeit und erfüllte zum ersten Mal die Norm.
    »Du bist schnell, aber deine Fehlerquote ist hoch«, sagte der Meister. »Bilde dir also nichts drauf ein. Und hör auf, das Zeug zu lesen, was du setzt, sonst machst du nicht nur Fehler, sondern glaubst den Mist irgendwann auch noch.«
     
    Am Wochenende fuhr ich zu meinem Vater. Ich hatte noch einen Wohnungsschlüssel, doch ich klingelte. Er öffnete mir die Tür, und das Erste, was ich registrierte, war die Furche zwischen seinen dichten Augenbrauen, die schon immer schlechtes Wetter hinter seiner hohen Stirn verhieß.
    »Warum klingelst du?«, fragte er kühl. »Du hast einen Schlüssel.«
    »Ich wohne hier nicht mehr, Papa.«
    »Du bist meine Tochter. Du kannst den Schlüssel benutzen.«
    »Ja. Entschuldige.«
    »Schon gut.« Mein Vater ging in die Küche, ich folgte ihm, setzte mich an den Tisch und sah ihm zu, wie er Kaffeewasser aufsetzte.
    »Was gibt’s Neues?«, fragte er.
    »Nichts weiter.«
    »Nichts weiter also.« Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, doch ich fühlte, wie sich die Falte tiefer in seine Stirn eingrub. »Ich dachte, du rufst mal an zwischendurch.«
    »Ich habe kein Telefon.«
    »Es gibt Telefonzellen.«
    »Die meisten sind kaputt.«
    »Unsinn!«
    Ich schwieg. Mein Vater setzte sich und zündete sich eine Zigarette an.
    »Wir haben uns eine Woche nicht gesehen, da muss es doch irgendwas Neues geben?« Missmutig blies er den Rauch an die Decke. »Meine Nachbarin ist eine Naziwitwe«, sagte ich, weil mir nichts anderes einfiel.
    »Wieso?«
    »An ihrer Wand hängt ein Bild eines Typen von der Waffen- SS .«
    »Aha.«
    »Und sie ist eine blöde Kuh.«
    Der Wasserkessel pfiff, mein Vater stand auf und goss das heiße Wasser in die Kaffeekanne. »Du bist schon wie deine Brüder«, sagte er müde, stellte die Kanne auf den Tisch und holte zwei Tassen aus dem Küchenschrank. »Die sind auch immer sehr schnell mit ihrem Urteil über andere Leute.«
    »Du kennst diese Frau überhaupt nicht, Papa«, sagte ich trotzig. »Und überhaupt … Du bist doch auch nicht anders.« In dem Augenblick, da ich diesen Satz sagte, bereute ich ihn schon. Ich hatte meinem Vater noch nie auf solche Weise widersprochen. Er starrte mich an, als sei ich eine Fremde.
    »Wie meinst du das?«
    Ich senkte meinen Blick und schwieg. Mein Vater stellte die Tassen auf den Tisch und setzte sich. »Wie du das meinst, hab ich gefragt«, wiederholte er und drückte die Zigarette in den Aschenbecher. Ich saß steif auf meinem Stuhl, umklammerte den Sitz, starrte auf die Tischplatte, und dann sprach es aus mir: »Du urteilst auch schnell über andere Leute und bist ungerecht, und wenn jemand anderer Meinung ist als du,

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