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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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den Rücken zugewandt.
    »Ich glaub, ich hab noch ein paar Büchsen von dem Zeug zu Hause«, hörte ich plötzlich eine andere Stimme hinter mir. Es war eine Stimme, die ich unter Tausenden erkannt hätte. Eine Stimme, so rau wie feines Sandpapier. Katjas Stimme. Ich drehte mich um und dachte für eine Sekunde, ich hätte mich geirrt. Katja hatte dunkles Haar. Das Mädchen, das jetzt vor mir stand, war blond. Doch die grauen Augen mit dem leichten Silberblick waren dieselben, und ihr Lachen war es auch. »Wenn du willst, kannst du gleich mitkommen«, sagte sie. Ich wollte.
    »Stehen dir gut, die blonden Haare«, sagte ich, als wir in der U-Bahn saßen.
    »Findest du? Ich mag die nicht.«
    »Warum hast du’s dann gemacht?«
    »Aus Liebeskummer, aber der wächst ja wieder raus. Hier, guck mal.« Sie fuhr mit dem Finger über ihren Scheitel, der schon dunkel war. »Man kann dabei zusehen, wie der Mist verschwindet. Zwei Zentimeter in zwei Monaten, spätestens in einem Jahr bin ich wieder die Alte.«
    Katjas Wohnung lag im zweiten Stock eines Hinterhofs und war genauso geschnitten wie die Wohnung, in die ich gezogen wäre, hätte mein Vater mir nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ihr Zimmer sah aus, wie Katja war: chaotisch, bunt und mit einem Hang zum Kitsch. An den Wänden hingen Schwarzweißfotos, die irgendwie nicht in diese schrille Umgebung passten. Es waren Bilder von tristen Fabrikhallen, Häuserruinen und Landschaften, aus denen jedes Leben gewichen zu sein schien. Dazwischen immer wieder Porträts von Katja.
    »Die sind alle von ihm«, sagte sie. »Er ist Fotograf. Willst du Kaffee?«
    »Klar.« Ich folgte Katja in die Küche, deren Wände in einem so alarmierenden Rot gestrichen waren, dass ich die Augen kurz zusammenkneifen musste. Vor dem Fenster thronte ein schwerer, dunkelgrün lackierter Tisch – jenes Dunkelgrün, das ich auch für meinen Küchenschrank im Sinn hatte. Ich setzte mich und sah mich um. Auch hier hingen überall die Fotos ihres Exfreundes.
    »Warum habt ihr euch eigentlich getrennt?«
    »Er hat mich verlassen und ist zu seiner Familie zurückgegangen.«
    »Er ist verheiratet?«
    »Ja, zwei Kinder.«
    »So alt schon?«
    »Total alt. Zweiunddreißig.«
    »Aber du wolltest doch immer einen reifen Mann.«
    »Der war nicht reif. Der war nur alt.«
    Sie brühte Kaffee in zwei großen Tassen auf, stellte sie auf den Tisch und setzte sich.
    »Stört es dich nicht, die Fotos immer zu sehen? Sie müssen dich doch an ihn erinnern«, fragte ich sie.
    »Ach, ich sehe die gar nicht mehr. Und außerdem … sie bringen Farbe in mein graues Leben, findest du nicht?«
    Wir lachten, schlürften unseren Kaffee und erzählten, wie es uns ergangen war, seit wir uns nicht mehr gesehen hatten. Katja hatte eine Tischlerlehre begonnen und sie hingeschmissen, weil sie doch lieber Modedesign an der Kunsthochschule studieren wollte. Sie hatte Talent und bestand die Aufnahmeprüfung, brach das Studium nach einem Jahr allerdings wieder ab, als ihr klarwurde, dass ihre Entwürfe niemals in die sozialistische Produktion gehen würden. Danach hielt sie sich mit diversen Aushilfsjobs über Wasser, bis sie schließlich beim Einräumen der Regale in einer Kaufhalle ihren Fotografen traf, der jede Menge Künstler kannte, für die sie jetzt Bühnenklamotten entwarf und nähte. Ich bewunderte sie.
    »Und du?«, fragte sie. »Was willst du noch so machen?«
    »Ich hab keine Ahnung. Vielleicht Musik. Vielleicht auch nicht. Ich weiß noch nicht.«
    »Und die Liebe?«
    »Kommt und geht.«
    Wir redeten noch eine Weile und beschlossen, im Sommer zusammen an die Ostsee zu fahren. Katja gab mir die Büchsen mit der grünen Farbe, ich ging nach Hause und strich noch in der gleichen Nacht den Küchenschrank. Danach fühlte ich mich weniger blass und schlief zufrieden ein.
     
    Am nächsten Morgen begutachtete ich stolz mein Werk. Bis auf die Farbnasen, die ich beim Streichen übersehen hatte, sah der Schrank ganz gut aus. Erst als ich die Schubladen öffnen wollte, schwand meine gute Laune. Ich bekam sie nicht auf. Sie klebten so fest in den Fächern, als sei das ihre Bestimmung. Ich war zu faul gewesen, sie rauszunehmen, und hatte sie geschlossen, bevor die Farbe trocken war. Typisch, dachte ich, nahm ein Messer, löste die Schubladen und beschloss, die hässlichen Spuren meiner Arbeit später zu beseitigen. Ich ahnte, dass ich es nie tun würde.
    Bevor ich an diesem Tag zur Spätschicht ging, heftete ich einen Zettel mit

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