Ab jetzt ist Ruhe
anderen nickten zustimmend. »Hast du noch einen? Vielleicht was Deutsches oder so?«
Ich spielte einen Song, den ich selbst geschrieben hatte – pennälerhafte Liebeslyrik über Nächte, die sich mit dem Mond vermählten, und irgendetwas, das wie Pergament zerriss. Schlimm. Doch wenigstens war die Musik nicht so übel. Diesmal schloss ich die Augen beim Singen und öffnete sie erst wieder beim Schlussakkord. Die vier Jungs sahen nicht unzufrieden aus, lediglich um die Lippen des Langhaarigen zuckte ein belustigtes Grinsen.
»Gehst du mal kurz raus, wir müssen uns beraten«, sagte der Gitarrist mit der großen Nase. Ich ging in den Flur und wartete. Nach ein paar Minuten riefen sie mich wieder herein. »Bist dabei, wenn du willst«, sagte der Untersetzte. »Und dieser deutsche Song … war der von dir?«
»Nur die Musik«, log ich. »Der Text ist von einem Freund.«
»Der war gut. Hat dein Freund noch mehr geschrieben?« Er schien die Frage wirklich ernst zu meinen.
»Ich weiß nicht. Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihm.«
»Schade«, mischte sich jetzt auch der Seitenscheitel ein. »Wir könnten ein paar eigene Songs gebrauchen.«
»Ach, ist doch egal«, winkte der Langhaarige ab. »Lass uns ein Bier trinken gehen und die Sache besiegeln. Hast du Lust?«
»Klar«, sagte ich, packte meine Gitarre wieder in den Koffer und ging mit ihnen ein Bier trinken.
An den folgenden Wochenenden probten wir. Der Gitarrist mit der großen Nase jobbte manchmal als Aufsicht in einer kleinen Galerie, deren Hinterzimmer wir als Proberaum nutzen durften. Die Band hatte keine Ordnung. Nach jedem Song wurden die Instrumente gewechselt oder getauscht. Jeder spielte alles, es gab mehrere Sänger und keinen Chef – das gefiel mir. Ich mochte die Jungs, und sie schienen mich auch zu mögen.
Als wir genug geprobt hatten, luden wir unsere Instrumente und die Verstärker in den Kombi des Langhaarigen und spielten unsere schöne, harmlose Musik in Clubs und bei Familienfesten. Es machte Spaß. Ich war in einer Band, meine Wochenenden waren bunt, und ich war glücklich.
Anders mein Vater. Ihm gefiel nicht, was ich tat. Er war überzeugt davon, dass er mich nun auch verloren hatte. Jedoch sagte er mir das nicht offen, sondern strafte meine Berichte aus dem Musikerleben mit demonstrativem Desinteresse. Das verletzte mich, und er wusste das. Abgesehen von seinem Argwohn, war er beleidigt, dass er mich nun noch seltener sah als vorher. Er sprach es nicht aus, doch das musste er auch nicht. Er wusste genau, dass ich ein schlechtes Gewissen hatte, und er tat nichts dafür, etwas daran zu ändern.
Zwischen den Wochenenden und den immer seltener werdenden Besuchen bei meinem Vater ging ich arbeiten. Ich war an der Maschine inzwischen routiniert, und wenn Schulklassen durch die Setzerei geführt wurden, um zu erfahren, wie eine sozialistische Tageszeitung entstand, stellte mich der Meister gern als leuchtendes Beispiel für eine junge, weibliche Arbeiterpersönlichkeit vor. Die meisten Schüler verstanden seine Ironie nicht, nur ein paar kicherten.
Auch die Gruppe langweilig gekleideter Männer, die er eines Tages durch unsere Werkstatt schleuste, bemerkte nicht, dass er sich über sie lustig machte, als er auf mich zeigte und sagte: »Diese junge Frau hier kann zehnmal schneller ENTWICKELTE SOZIALISTISCHE GESELLSCHAFT setzen, als mancher hier im Raum diese Worte einmal fehlerfrei buchstabieren könnte!« Einige der Männer guckten irritiert, andere nickten wissend.
Und sie blieben. Es gab einen Parteitag, über den unsere Zeitung berichten musste. Und weil die Partei Sorge hatte, dass wir die Berichterstattung sabotieren könnten, postierte sie hinter jeder Setzmaschine einen Aufpasser. Zwar wurden uns die Männer nicht als Mitarbeiter der Staatssicherheit vorgestellt, doch wir wussten, dass sie es waren.
Der Typ, der mir zugeteilt wurde, war vielleicht Anfang dreißig, trug eine bräunliche Hose mit Bügelfalte und einen blassgrüngestreiften Pullover, in den der Schweißgeruch irgendwie schon eingewebt schien. Dieser Geruch war sein treuer Begleiter, und sein Träger war meiner. Nur in den Pausen gesellte er sich zu seinen Kollegen und besetzte mit ihnen in der Kantine einen Tisch in unserer Nähe.
»Ignoriert sie und macht eure Arbeit«, hatte der Meister uns eingebläut. »Wir wollen doch nicht, dass sie bei ihrer Arbeit Spaß haben, oder?«
Es fiel mir schwer, den Mann an meiner Maschine zu ignorieren. Zwar nahm ich seinen
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