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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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trieb.
     
    »So eine Scheiße«, fluchte Katja, als wir am nächsten Morgen auf dem Bahnhof standen und auf unseren Zug warteten. »Hast du den Wetterbericht gehört?« Es hatte die ganze Nacht geregnet, die Temperaturen waren stark gefallen, und die Aussichten waren mies. »Na und«, sagte ich. »Hauptsache raus hier.«
    Unser Zug kam, wir stiegen ein und fanden zwei Plätze in einem Raucherabteil, das bereits von einer Familie mit zwei kleinen Jungen besetzt war. Die Mutter schälte gerade einen Apfel und schaute nur kurz auf, als wir unsere Rucksäcke in die Gepäckablage hievten. Der Vater rauchte und starrte unverhohlen auf Katjas Hintern, während seine Söhne sich laut und in breitem Sächsisch darum stritten, wie viele Stationen es noch bis zur Ostsee seien.
    Katja fläzte sich in den Sitz und warf den beiden Jungen vernichtende Blicke zu. Der Zug setzte sich in Bewegung, die Frau verteilte die Apfelstücke dekorativ auf einem Pappteller, stellte ihn auf den kleinen Tisch unter dem Fenster, wischte das Messer mit einem Tuch ab, klappte es zusammen und steckte es in ihre Handtasche. Dann vertiefte sie sich in die Lektüre einer Illustrierten.
    Ihr Mann blies gelangweilt Ringe in die Luft, die seine Söhne fasziniert mit den Blicken verfolgten, während sie sich die Apfelstücke in den Mund schoben.
    »Wohl Berliner«, wandte sich der Familienvater schließlich an Katja. Obwohl mich der Typ nicht im Geringsten interessierte, kränkte es mich, dass er mich ignorierte.
    »Wollen Sie das von mir wissen oder von meinen Titten, die Sie die ganze Zeit anstarren?«, fragte Katja und prüfte dabei gelangweilt den Zustand ihrer Fingernägel.
    Der Mann wurde rot und schaute weg, seine Söhne vergaßen zu kauen, und die Frau ließ ihre Zeitschrift sinken. Sie bedachte erst meine Freundin und dann ihren Mann mit einem feindseligen Blick, dann seufzte sie und verschwand wieder hinter der Illustrierten. Eisiges Schweigen legte sich zwischen die Rauchschwaden im Abteil, die die Jungs stumm mit den Händen zu zerteilen begannen, bis sie von ihrer Mutter zur Ordnung gerufen und zum Stillsitzen verurteilt wurden. Der Mann drückte seine Zigarette in den Aschenbecher, verschränkte die Arme vor der Brust und schloss die Augen. Nach ein paar Minuten war er eingeschlafen, und seinem geöffneten Mund entwichen stakkatoartige, nikotingetränkte Schnarchlaute.
    »Ich muss hier raus«, raunte ich Katja zu. »Kommst du mit?«
    »Ja, gleich«, flüsterte sie. »Ich muss das Elend bloß noch dokumentieren.« Sie stand auf, zog ihren Rucksack von der Ablage, holte den Fotoapparat raus und knipste den schnarchenden Schläfer. Die beiden kleinen Jungs hockten mit angezogenen Beinen auf ihren Sitzen und kicherten. Die Frau ließ ihre Zeitschrift sinken, sah uns entnervt an, schaute zu ihrem Mann, rollte mit den Augen und seufzte noch einmal tief, um sich dann wieder in ihre Lektüre zu versenken.
    Wir nahmen unsere Sachen und verließen das Abteil. Ich schloss die Tür so geräuschvoll, dass der Familienvater aus dem Schlaf schreckte und verwirrt um sich sah. »Idiot«, sagte ich. »Wichser«, sagte Katja.
    Der Zug war voll, es gab keine Plätze mehr, also stellten wir uns in den Raum zwischen den Waggons. Es stank nach Gülle, und ich war nicht sicher, ob der Geruch von den Feldern kam, an denen wir gerade vorbeifuhren, oder aus den Toiletten. Ich schaute aus dem Türfenster, durch dessen verdreckte, schlierige Scheiben die flache Landschaft da draußen noch trostloser wirkte, als sie ohnehin schon war. Ich presste meine Stirn an die Scheibe und schloss die Augen. Der monotone Rhythmus des Zuges legte sich in meinen Kopf. Ich dachte an nichts und verlor jedes Zeitgefühl. Erst als der Zug seine Fahrt verlangsamte und mit quietschenden Bremsen in einen Bahnhof einfuhr, kam ich wieder zu mir. Ich trat zur Seite, um Leute ein- und aussteigen zu lassen. Katja hockte auf dem Boden und las. Als der Zug sich in Bewegung setzte, versuchte ich mich wieder in diesen angenehmen Zustand der Leere zurückzuversetzen. Es gelang mir nicht. Ich holte einen Apfel aus dem Rucksack und nagte ein Mondgesicht hinein. Das hatte ich als Kind manchmal gemacht, wenn mir langweilig war. Ich hatte mich dann mit dem Apfel unterhalten, bis mich auch das langweilte. Dieser Apfelkopf blieb jedoch stumm, also aß ich ihn auf und schnippte den Stiel zu Katja. Ich verfehlte sie und schaute aus dem Fenster. Es hatte wieder angefangen zu regnen, und ich sah zu, wie die

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