Ab jetzt ist Ruhe
gefällt, kannst du dich ja melden.«
»Mach ich«, sagte ich und steckte die Kassette in meine Hosentasche.
»Ich hol mir ein Bier, willst du auch eins?«
»Nee danke.«
Der Gitarrist verschwand, ich goss mir Wein ins Glas und stellte mir vor, ich sei auch nur zu Besuch bei diesem Fest. Ich ging durch die Wohnung und versuchte, mit fremden Augen zu sehen. Eine nichtssagende Wohnung, phantasielos und langweilig – es war deprimierend. Und deprimierend war auch, dass mich kaum jemand vermissen würde, wenn ich jetzt ginge. Ich wurde von Schwermut und Selbstmitleid ergriffen, nahm meine Jacke und verließ die Wohnung. Draußen war es kalt, es nieselte. Ich schlug den Kragen hoch, lief zur Telefonzelle, ging hinein und wählte meine Nummer. Es läutete fünfmal, bis jemand abnahm. »Hallo?«, rief eine Stimme. Ich musste den Hörer von mir weghalten, weil es so laut war.
»Hallo«, antwortete ich und verlangte mich zu sprechen.
»Wen?«, rief die Stimme am anderen Ende. Ich wiederholte meinen Namen. »Warte mal.« Der Hörer wurde weggelegt. Ich wartete. Nach etwa einer Minute meldete sich eine andere Stimme.
»Hallo?«
Ich legte auf, verließ die Zelle wieder und ging spazieren. Ich versuchte, etwas Bedeutsames zu denken, um mir nicht so lächerlich vorzukommen. Meine drei Brüder hatten schon so wichtige Dinge getan, als sie in meinem Alter waren. Sie hatten rebelliert, um ihre Träume ins Leben zu holen. Und ich? Ich lebte so dahin und machte einen Kompromiss nach dem anderen. Keine Leidenschaft für nichts. Stattdessen rief ich in meiner eigenen Wohnung an. Grotesk. Der Regen wurde stärker, und ich fror, also lief ich zurück. Der Versuch, mich weniger erbärmlich zu fühlen, war gründlich misslungen.
Vor meinem Haus stand ein Polizeiauto. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Meine trüben Gedanken waren wie weggeblasen, ich rannte und nahm zwei Stufen auf einmal zu meiner Wohnung. An der Tür standen zwei Polizisten und wollten gerade klingeln.
»Ich wohne hier«, sagte ich atemlos. Die beiden Männer drehten sich um und schauten mich überrascht an. »Das heißt, Sie sind die Mieterin dieser Wohnung?«, fragte der eine.
»Ja, ich wohne hier«, wiederholte ich. Ich wusste, dass die blöde Hinrich von gegenüber durch den Spion stierte.
»Gegen Sie liegt eine Beschwerde vor«, erklärte der Polizist. »Nächtliche Ruhestörung.« Sein Kollege nickte eifrig, als könne er damit die Wirkung der Worte des anderen noch bekräftigen.
»Tut mir leid«, sagte ich mit einem Lächeln, von dem ich hoffte, dass es schüchtern wirkte. »Wir machen gleich leiser.«
»Tun Sie das!«, sagte der Polizist streng und gab seinem Kollegen mit einem Blick zu verstehen, dass für ihn die Angelegenheit damit erledigt sei. Die Männer gingen. Ich überlegte kurz, ob ich bei der dicken Hinrich klingeln sollte, ließ es aber bleiben. Ich war sicher, dass sie sich ohnehin schon genug ärgerte, dass die Polizisten nicht meine Wohnung gestürmt und mich mitgenommen hatten. Ich ging hinein, kämpfte mich durch den Flur und drehte die Musik leiser.
»Wo warst du denn?« Stefan lehnte mit einer Bierflasche an der Balkontür und rauchte. »Ich hab dich gesucht, ich hau nämlich gleich ab.«
»Ich musste mal telefonieren, und hier war’s zu laut.«
Stefan trank aus und stellte die Bierflasche ab. »Dann geh ich mich mal wieder militarisieren«, sagte er, nahm seinen Rucksack und verschwand in Richtung Bad.
Ich ging in die Küche. Katja saß auf dem Schoß eines großen, schwarzhaarigen Mannes, hatte ihren Arm um seine Schultern gelegt und flüsterte ihm gerade etwas ins Ohr. Irgendjemand hatte die Musik im Wohnzimmer wieder laut gedreht. Ich ging zurück. Mein Bruder saß auf der Erde und studierte ein Plattencover. Ich machte den Plattenspieler aus.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte er.
»Die Polizei war gerade hier, meine Nachbarin hat sich beschwert.« Ich nahm ihm die Plattenhülle aus der Hand und steckte die Schallplatte hinein.
»Na und? Du wirst dich doch wohl nicht von so ein paar blöden Bullen einschüchtern lassen, oder?«
»Ich hab keine Lust auf Ärger.«
»Du bist langweilig, Schwesterchen.«
»Ich weiß. Außerdem bin ich müde.«
Stefan kam in Uniform und begleitet von mehr oder weniger witzigen Kommentaren ins Zimmer, um sich zu verabschieden. Ich brachte ihn zur Tür und setzte mich dann mit einem Glas Wein zu meinem Bruder auf den Boden. Er zog an seiner Zigarette und schaute sich im Zimmer
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