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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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also tot, und da auch meine Mutter nicht mehr lebte, erbte ich Geld. Westgeld. Viertausend englische Pfund. Ein Vermögen. Allerdings sollte ich die schönen Scheine nie zu Gesicht bekommen, das Geld wurde auf ein spezielles Konto überwiesen und in Schecks ausgezahlt, mit denen man nur im Intershop einkaufen konnte. Ein paar dieser Schecks setzte ich dort in Jeans und Schallplatten um, einen Teil tauschte ich illegal gegen Westgeld, um mir noch viel illegaler eine Westerngitarre und ein gutes Mikrophon zu besorgen. Unsere Band hatte viel zu tun, wir waren fast jedes Wochenende unterwegs und bespielten inzwischen auch die Clubs in anderen Städten. Es machte Spaß, aber es wurde immer schwieriger, die Schichtarbeit in der Druckerei mit den Bandproben und Konzerten unter einen Hut zu bekommen. Ich musste mir einen anderen Job suchen.
    »Hab ich doch immer gewusst«, sagte der Meister, als ich während der Mittagspause laut darüber nachdachte. »Du wirst hier nicht alt. Du bist eben doch zu Höherem berufen.«
    »Blödsinn, ich will nur Musik machen.«
    »Hast du gehört, Dieter?«, wandte sich der Meister an den Bulligen. »Sie will nur Musik machen!«
    »Brotlose Kunst«, winkte der Bullige ab. »Sie wird schon sehen, was sie davon hat.« Sie stichelten und machten sich über mich lustig.
    »Lass sie«, raunte der Bärtige mir zu. »Die sind doch bloß neidisch.«
    »Neidisch? Worauf?«
    »Dass du noch so jung bist und einfach machst, was du willst.«
    »Und du? Bist du auch neidisch?«
    »Nö«, sagte der Bärtige. »Ich find’s gut. Ich hab die Kurve nie gekriegt.«
    Vielleicht waren meine Kollegen neidisch, vielleicht auch gekränkt, doch sie waren nicht nachtragend. Nach meiner letzten Spätschicht schenkten sie mir ein Exemplar der Zeitung, die wir machten. Neben Berichten über erfüllte Pläne im Osten und die wachsende Rezession im Westen, über den Krieg im Libanon, eine aussterbende indonesische Nashorn-Art und den Erfolg von DDR -Figurenspringerinnen bei der Weltmeisterschaft im Fallschirmsport gab es darin auch eine Traueranzeige, in der mein Name stand und in der sie meinen plötzlichen und für alle unerwarteten Tod beklagten. Darin stand, dass ich ein sehr wertvolles Mitglied der sozialistischen Gesellschaft im Allgemeinen und des vorbildlichen Maschinensetzerkollektivs im Besonderen gewesen sei und dass man mich nicht vergessen werde. Sie hatten dieses eine Exemplar extra für mich drucken lassen. Ich war gerührt, ging in die Kantine und kaufte die letzte Flasche Wodka.
     
    Mein Vater reagierte überraschend entspannt, als ich ihm am Telefon erzählte, dass ich kündigen werde. Vielleicht hatte er endlich kapiert, dass ich erwachsen war und er mich ganz verlieren würde, wenn er mich unter Druck setzte oder mir Vorwürfe machte. Er schien fast dankbar, dass ich es ihm überhaupt erzählte – wir sahen uns ja kaum noch, und von meinem Leben wusste er so gut wie nichts.
    »Ich habe übrigens auch eine Neuigkeit für dich«, sagte er. »Ich werde bald umziehen.« Er erzählte mir von der schönen, komfortablen Zweizimmerwohnung, die er gefunden hatte. »Ganz in der Nähe vom Tierpark«, sagte er. Ich freute mich und sah meinen Vater schon altersmilde und zufrieden durch den Park schlendern und das Leben genießen.
    Umso ernüchterter war ich, als ich ihn das erste Mal in seinem neuen Zuhause besuchte. Die Wohnung war sehr klein und lag im Erdgeschoss eines Neubaublocks, unweit einer stark befahrenen Straße. Durch das Fenster des einen Zimmers sah man den Parkplatz, das andere gab den Blick auf die Kaufhalle frei. Es war deprimierend.
    Ich versuchte meine Enttäuschung zu verbergen, doch je länger ich mich hier aufhielt, desto gedrückter wurde meine Stimmung. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass mein Vater hier den Rest seines Lebens verbringen wollte. Er spürte mein Unbehagen.
    »Es gefällt dir nicht, oder?«
    »Doch, es ist …«
    »Es ist dir nicht gut genug.«
    »Nein. Ich dachte nur … du hättest dir doch auch was Schönes im Grünen suchen können.«
    »Was soll ich im Grünen? Das hier ist völlig in Ordnung, und der Tierpark ist um die Ecke.«
    »Du gehst doch niemals in den Tierpark, Papa.«
    »Doch, jetzt zum Beispiel. Lass uns in den Tierpark gehen.« Ich fand den Tierpark öde, doch ich war froh über den plötzlichen Aktionismus meines Vaters, denn hier fiel mir die Decke auf den Kopf.
    Wir verließen die Wohnung, fuhren drei Stationen mit der Straßenbahn, mein Vater kaufte

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