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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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Vater und nickte anerkennend.
    »Du hast mir damals diesen Brief geschrieben, weißt du noch? Ich wollte weg von da, und du hast mir gesagt, es geht nicht.«
    »Ja, ich weiß. Du warst zwölf Jahre alt und wolltest plötzlich Schriftsteller werden.«
    »Ich war zwölf Jahre und habe da gelitten wie ein Hund.«
    »Du wolltest unbedingt dahin«, sagte mein Vater mit einer Stimme, die jetzt kalt und feindlich war.
    »Ich war ein Kind, Vater.«
    Mein Vater schwieg.
    »Warum hast du mich da nicht rausgeholt?«
    Mein Vater schwieg, mir wurde unwohl.
    »Ich hab dich was gefragt.«
    »Ist das hier ein Verhör?«, mein Vater warf verärgert seine Kuchengabel auf den Teller. »Steh ich unter Anklage?«
    »Vater«, mein Bruder sprach etwas leiser. »Ich möchte es einfach nur verstehen.«
    »Da gibt es nichts zu verstehen«, sagte mein Vater kalt, zündete sich eine Zigarette an und starrte aus dem Fenster. »Und ich muss mich hier in meiner Wohnung nicht so behandeln lassen.«
    »Ach«, mein Bruder stand auf. »Du bist unzufrieden damit, wie ich dich behandle? Du hast mich behandelt wie einen Fremden, Vater. Du hast mich nicht nach Hause geholt, als ich da wegwollte, und du hast mir nicht geholfen, als sie mich wegen der Flugblätter eingebuchtet haben. Ich war dein Sohn, und so etwas tut man nicht mit seinem Sohn.«
    Mein Vater stand ebenfalls auf, ging zum Fenster und öffnete es schweigend.
    »Warum sagst du nichts?«
    »Ich habe dir nichts mehr zu sagen.«
    Mein Herz schlug schwer und schnell. Ich hatte Angst. Ich fühlte mich plötzlich wieder wie damals, als ich in meinem Zimmer lag und mir die Decke über den Kopf zog, wenn sie sich stritten und anschrien und die Türen schmissen.
    »Hört doch bitte auf«, sagte ich leise.
    Sie reagierten nicht auf mich. Ich war gar nicht da.
    »Ist das dein letztes Wort, Vater?«
    Mein Vater schwieg, zog an seiner Zigarette und blies den Rauch aus dem Fenster.
    »Gut.« Mein Bruder stand auf. »Dann geh ich jetzt.«
    »Ich komme mit«, sagte ich. Mein Vater drehte sich ruckartig um und starrte mich fassungslos an. »Du gehst mit?«
    »Ja.«
    Seine Augen wurden schmal. »Ich verstehe«, sagte er und nickte. »Du bist auf seiner Seite. Hätte ich mir ja denken können.«
    Er drehte sich langsam wieder um und starrte aus dem Fenster. Plötzlich tat er mir leid. Ich ahnte, wie unglaublich einsam er sich in diesem Augenblick fühlen musste. Ich ging zu ihm und legte meine Hand auf seine Schulter. Er schüttelte sie ab.
    »Mach’s gut, Papa.« Er schwieg.
    »Er ist so ein Idiot«, sagte mein Bruder mit enger Stimme, als wir wieder im Auto saßen. »Warum macht er das?«
    »Er kann nicht anders«, sagte ich. »Er kann nicht aus seiner Haut.«
    »Er will nicht.«
    »Ja, vielleicht.«
    Mein Bruder setzte mich am Alexanderplatz ab, ich stieg in die U-Bahn und fuhr nach Hause. Ich griff zum Telefonhörer und wählte die Nummer meines Vaters. Ich legte auf, bevor es zum ersten Mal klingelte.
    Um drei Uhr morgens rief mein Bruder mich an.
    »Ich bin so wach«, sagte er. »Ich muss mit dir reden. Hast du geschlafen?«
    »Ja.«
    »Ich habe ihm einen Brief geschrieben. Ich les ihn dir vor.«
    Mein Bruder las mir den Brief vor, in dem stand, dass er meinen Vater liebe, auch wenn dieser das nicht hören wolle. Dass die DDR seine Familie sei, auch wenn er sie verlassen habe. Dass er verstanden habe, warum sein erstes Buch in der DDR nicht gedruckt werden konnte. Dass er meinem Vater gern vom Gefängnis erzählen würde, und dass es nichts Schlimmeres gebe, als im Gefängnis zu sein in einem Land, das man doch eigentlich liebe. Dass er möchte, dass mein Vater stolz auf ihn sei. Dass er sich gern bei ihm entschuldigen würde, doch das nicht könne, weil er das Wort Schuld nicht wirklich verstehe. Der Brief war lang und manchmal wirr.
    »Soll ich ihn abschicken?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Meinst du, er wird ihn verstehen?«
    »Vielleicht.« Ich war so müde, ich wollte wieder ins Bett. Doch mein Bruder ließ mich noch nicht.
    »Ich bin so wach«, sagte er wieder. »Ich will mit dir reden.« Und er sprach von Offenheit und dass wir miteinander etwas zu tun haben müssten. »Ich brauche dich jetzt«, sagte er. »Jetzt und vielleicht nie wieder.« Er sprach vom Schorf, den wir gemeinsam von der Wunde kratzen müssten, um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte. »Ich hab was geschrieben«, sagte mein Bruder. »Warte, ich hole es.«
    »Ich muss morgen früh raus«, sagte ich.
    »Es dauert nicht lang,

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