Abaddons Tor: Roman (German Edition)
fragte Naomi.
Er drückte noch zweimal auf den Knopf. »Wie gehabt, hier passiert nichts.«
»Verdammt, ich hätte schwören können …«
Corin drehte sich ein wenig herum und grinste ihn spöttisch an, schwieg aber dazu.
Holdens Kampfmoral war verbraucht. Er hatte angenommen, er müsste sich in einem heldenhaften Moment opfern, um Naomi am Aufzug etwas Zeit zu erkaufen. Das war ihm erspart geblieben, weil die Angreifer einen anderen Weg eingeschlagen hatten. Naomi war jedoch in die Schusslinie geraten, was für sein Empfinden sogar noch schlimmer war. Dann war sie vor ein paar Minuten aufgetaucht und hatte ihm erklärt, Bull habe sie vorausgeschickt, um die Tür zu öffnen, während er ihnen Rückendeckung gab.
Bisher waren alle Pläne, die sie entworfen hatten, spektakulär gescheitert. Jetzt standen sie schon wieder buchstäblich mit dem Rücken zur Wand – hinten der versperrte Zugang zur Brücke, auf der anderen Seite von Ashfords Handlangern verfolgt und ohne Fluchtweg. Das hätte beängstigend sein sollen, doch Holden war einfach nur noch müde.
»Versuch’s noch einmal«, forderte Naomi ihn auf. Holden drückte einige Male auf den Kopf, ohne ihn überhaupt anzusehen.
»Nichts.«
»Vielleicht …« Sie drehte sich und trat wieder aus.
»Da kommen zwei«, meldete Corin. Im Funk klang ihre Stimme hart und dröhnend. Außer im Funkgerät hatte er ihre Stimme noch nie gehört. Er fragte sich, ob sie auch im direkten Kontakt so sprach wie jetzt. Er ging zur Kante der Plattform und blickte hinunter. Die Magnetstiefel erzeugten die Illusion, es gebe ein Oben und Unten.
Durch das Zielfernrohr sah er zwei marsianische Marinesoldaten so schnell den Schacht herauffliegen, wie es ihre billigen Schutzanzüge erlaubten. Noch erkannte er sie nicht, doch Bull war nicht bei ihnen.
»Versuch’s noch einmal«, sagte Naomi.
»Bin grad beschäftigt«, erwiderte Holden und suchte den Bereich hinter den Marinesoldaten nach Verfolgern ab. Er konnte niemanden entdecken.
Naomi kletterte aus der Zugangsluke und schwebte neben ihn, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Die Marinesoldaten schossen den Schacht herauf, zielten mit den Füßen auf die Decke und bremsten scharf ab. Dann federten sie zurück, landeten neben Holden und verankerten sich mit den Magnetstiefeln auf dem Boden.
Jetzt konnte Holden durch die Visiere blicken und erkannte den Scharfschützen Juarez und eine dunkelhäutige Frau, deren Namen er nicht kannte.
»Wir haben den Vorposten verloren«, meldete Juarez. Er hielt das langläufige Gewehr in einer und ein volles Magazin in der anderen Hand. Während er die Waffe lud, informierte er seine Partnerin: »Das ist das letzte Magazin.«
Sie überprüfte ihr Geschirr. »Noch drei.«
»Meldung«, verlangte Holden. Unwillkürlich war er zur knappen militärischen Sprache gewechselt. Bei der Marine war er Leutnant gewesen, Juarez war ein Gefreiter. Diese Leute hatten eine gründliche Ausbildung genossen und wussten, wer im Kampfeinsatz die Befehle gab und wer gehorchte.
»Einen Gegner habe ich mit einem Kopfschuss erledigt, und ich glaube, ein weiterer wurde durch unseren verbliebenen Sprengstoff getötet. Über die anderen beiden haben wir keine Erkenntnisse. Möglicherweise wurden sie durch die Explosion verletzt oder getötet, aber darauf können wir uns nicht verlassen.«
»Bull?«, fragte Corin.
»Er hat den Sprengstoff festgehalten. Der zweite tote Gegner geht auf sein Konto.«
»Bull«, wiederholte Corin mit erstickter Stimme. Holden war über rascht, dass ihr die Tränen in die Augen traten. »Wir müssen ihn holen.«
»Negativ«, antwortete Juarez. »Der Aufzug ist jetzt unzugänglich, und Bull steckt mittendrin. Alles, was wir tun könnten, um seine Leiche zu bergen, schwächt unsere Verteidigung.«
»Verdammter Mistkerl …« Corin machte einen wütenden Schritt auf Juarez zu und ballte die Hände zu Fäusten. »Wir lassen ihn auf keinen Fall …«
Ehe sie noch einen weiteren Schritt tun konnte, packte Holden sie am Waffengurt und riss sie vom Boden, wirbelte sie herum und warf sie gegen das nächste Schott. Über Funk hörte er sie erschrocken schnaufen.
»Trauern können Sie später noch«, sagte er, ohne sie loszulassen. »Wenn wir fertig sind. Dann trauern wir um alle.«
Sie packte mit beiden Händen seine Handgelenke. Einen schrecklichen Augenblick lang fürchtete Holden, sie werde ihn angreifen, und fragte sich, ob er in der Lage war, bei null G einen Ringkampf gegen die
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