Abaddons Tor: Roman (German Edition)
der Staubbeutel – Sie wissen schon, die Marsianer.«
»Die Marsianer?« Anna hätte zu gern noch ein Glas von der köstlichen Milch getrunken, doch das hätte Chris abgelenkt. Sie verzichtete darauf, dem Kellner zu winken.
»Wir sind in Reichweite ihrer Flotte«, erklärte er. »Deshalb lösen wir den Alarm aus. Wenn die Staubbeutel in der Nähe sind, halten wir es immer so, seit … Sie wissen schon, seit Ganymed.«
Anna nickte und wartete darauf, dass er fortfuhr.
»Und dieser Ring … er hat schon mal jemanden getötet. Ich meine, es war nur so ein strohdummer dürrer Slingshotter, aber trotzdem. Er hat jemanden getötet.«
Anna nahm seine Hand. Chris zuckte leicht zusammen, entspannte sich aber, als sie ihn anlächelte. »Macht Ihnen das Angst?«
»Klar. Natürlich. Aber darum geht es nicht.«
Anna wartete und ließ sich nichts anmerken. Auf einmal stand die hübsche Zivilistin auf der anderen Seite des Raumes auf, als wollte sie gehen. Sie bewegte die Lippen, weil sie offenbar mit sich selbst redete, dann setzte sie sich wieder, legte die Arme auf den Tisch und barg den Kopf zwischen ihnen. Noch jemand, der Angst hatte und irgendwie eine lange Nachtschicht überstehen musste, allein in einem Raum voller Menschen.
»Ich meine«, unterbrach Chris ihren Gedankengang, »dass dies noch lange nicht alles ist.«
»Was bedeutet das?«, fragte Anna.
»Wir haben nicht wegen des Rings, sondern wegen der Marsianer den Alarm ausgelöst. Trotz dieses Dings da draußen denken wir immer noch als Erstes daran, uns gegenseitig zu erschießen. Das ist ziemlich beschissen. Verzeihung. Das ist übel.«
»Anscheinend sollten wir unsere menschlichen Differenzen zurückstellen, wenn wir auf so etwas stoßen, nicht wahr?«
Chris nickte und drückte fest ihre Hand, sagte aber nichts weiter.
»Chris, möchten Sie mit mir beten?«
Er nickte, senkte den Kopf und schloss die Augen. Als sie geendet hatte, sagte er: »Soweit ich weiß, bin ich nicht der einzige Methodist an Bord. Halten Sie vielleicht auch eine Andacht ab?«
Und ob ich das tun werde.
»Am Sonntag um zehn im Konferenzraum Einundvierzig.« Sie musste nur noch jemanden fragen, ob sie den Raum am Sonntagmorgen überhaupt benutzen durfte.
»Ich werde versuchen, mir freizunehmen.« Chris lächelte. »Danke, Madam. Pastorin Anna.«
»Es war schön, mit Ihnen zu reden, Chris.« Du hast mir einen Grund gegeben, hier zu sein.
Als Chris ging, war Anna auf einmal sehr müde und bereit, ins Bett zurückzukehren. Das hübsche Mädchen auf der anderen Seite des Raumes hatte sich nicht gerührt, der Kopf war immer noch zwischen den Armen geborgen. Anna ging hinüber und berührte sie leicht an der Schulter. Das Mädchen hob abrupt den Kopf, die Augen waren weit aufgerissen und fast panisch.
»Hallo«, sagte Anna. »Ich bin Anna. Wie heißen Sie?«
Das Mädchen starrte zu ihr hoch, als sei die Frage ungeheuer schwer zu beantworten. Anna setzte sich ihr gegenüber hin.
»Ich habe Sie schon vorhin bemerkt«, fuhr Anna fort. »Es kam mir so vor, als könnten Sie etwas Gesellschaft brauchen. Es ist in Ordnung, wenn man Angst hat, das kann ich gut verstehen.«
Ungelenk wie eine schlecht geölte Maschine sprang das Mädchen auf. Ihre Augen waren ausdruckslos, den Kopf hatte sie leicht schief gelegt. Anna fürchtete sich vor ihr. Es war, als hätte sie einen Hund gestreichelt, der sich als Löwe entpuppte. Irgendwo im Hinterkopf sagte ihr eine Stimme: Diese Frau ist böse, sie wird dir wehtun.
»Tut mir leid.« Anna stand auf und hob beschwichtigend die Hände. »Ich wollte Sie nicht stören.«
»Sie kennen mich nicht«, erwiderte das Mädchen. »Sie wissen rein gar nichts.« Sie ballte die Hände zu Fäusten, die Sehnen im Hals waren sichtlich angespannt.
»Sie haben recht.« Anna wich weiter zurück und machte abermals eine beschwichtigende Geste. »Verzeihung.«
Inzwischen starrten einige andere Gäste herüber. Anna war froh, mit diesem Mädchen, das sie noch einige Sekunden zitternd anstarrte und dann abrupt hinausstürmte, nicht allein zu sein.
»Verdammt, was war das denn jetzt?«, sagte jemand hinter Anna leise.
Vielleicht war das Mädchen ebenfalls aus einem Albtraum aufgefahren. Oder vielleicht auch nicht.
13 Bull
Die Ankunft am Ring war ein politisches Signal, das dennoch ganz reale Auswirkungen hatte. Es gab keine physische Grenze, an der man ablesen konnte, ab wann man sich im Einzugsbereich des Objekts aufhielt. Es gab keinen Hafen, wo man andocken
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