Abaddons Tor: Roman (German Edition)
die Offiziersmesse zu besuchen. Sie hatte gehört, dass es in der Raummarine gegenüber Zivilisten ein gewisses Maß an Misstrauen gab. Wäre sie kein lebendes Beispiel für die Berechtigung dieses Misstrauens gewesen, dann hätte sie sich vermutlich sogar darüber empört. Soledad und Stanni saßen bereits an einem Tisch, tranken Kaffee aus Beuteln und teilten sich einen Teller mit süßen Brötchen.
»Die werde ich vermissen, wenn sie den Schub abschalten.« Er hielt ein Brötchen hoch. »Der beste Schiffskoch kann nicht backen, wenn er keinen Schub hat. Wie lange werden wir wohl umherschweben?«
»Solange es nötig ist«, erwiderte Melba. »Fürs Erste rechnen sie mit zwei Monaten.«
»Zwei Monate bei null G«, stöhnte Soledad. Ihre Stimme und das graue Gesicht zeigten, was sie meinte. Zwei Monate am Ring.
»Ja«, sagte Stanni. »Gibt es schon etwas Neues von Bob?«
Das fünfte Mitglied ihres Teams – jetzt das vierte – befand sich noch auf der Cerisier . Wie sich herausgestellt hatte, hatten sowohl er als auch Ren eine Beziehung zu einer Angehörigen des medizinischen Teams auf dem Schiff unterhalten. Die Sicherheitskräfte hatten zunächst die üblichen Verdächtigen einkassiert. Wenn jemand vermisst wurde, lag des Rätsels Lösung meist in der unmittelbaren Umgebung. Melbas Kehle schnürte sich schon wieder zu.
»Noch nichts«, berichtete sie, »aber sie werden ihn entlasten. Ich bin sicher, dass er nichts getan hat.«
»Bestimmt«, bekräftigte Soledad. »Bob würde niemals jemandem etwas antun. Er ist ein guter Mann. Alle wussten Bescheid, und er mochte Ren.«
»Hoffentlich hört das Theater bald auf«, sagte Stanni. »Wir wissen nicht einmal, ob er tot ist.«
»Mit esse coisa da draußen wäre er besser dran, wenn er tot ist«, meinte Soledad. »Seit wir die Schubrichtung gewechselt haben, leide ich an Albträumen. Ich glaube, von diesem Flug kehren wir nicht mehr zurück. Keiner von uns wird es überleben.«
»Es wird nicht besser, wenn du so redest«, wandte Stanni ein.
Eine Frau betrat die Messe. Sie war in mittleren Jahren und hatte das dichte rote Haar zu einem strengen Knoten gebunden, der nicht ganz zu ihrem freundlichen Lächeln passte. Melba sah sie scharf an, damit sie sich ja nicht ihrem Tisch näherte, dann wandte sie den Blick ab.
»Was auch mit Ren passiert ist«, sagte sie, »wir haben einen Auftrag zu erledigen, und genau das werden wir tun.«
»Das ist verdammt richtig«, stimmte Stanni zu, und dann noch einmal mit belegter Stimme: »Verdammt richtig.«
Sie saßen noch eine Weile schweigend beisammen, während der ältere Mann weinte. Solé legte ihm eine Hand auf den Arm, worauf sich Stannis bebender Atem ein wenig beruhigte. Er nickte und schluckte, wirkte dabei wie der Inbegriff von Kummer und Tapferkeit. Edelmütig. Erst jetzt wurde Melba bewusst, dass Stanni ungefähr im gleichen Alter war wie ihr Vater. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte ihr Vater noch nie um irgendjemanden geweint.
»Es tut mir leid«, sagte sie. Sie hatte nicht vorgehabt, diese Worte auszusprechen, aber da waren sie und lagen auf dem Tisch. Es kam ihr obszön vor.
»Schon gut«, antwortete Stanni. »Es geht mir gut. Hier, Boss, versuchen Sie mal ein Brötchen.«
Melba streckte die Hand aus und rang die eigenen Tränen nieder. Sie wollte nicht mehr sprechen, denn sie wusste nicht, was sie dann sagen würde, und sie fürchtete sich vor sich selbst. Auf dem Handterminal zirpte ein Alarmsignal. Die Diagnose war beendet. Sie brauchte nur eine Sekunde, um festzustellen, dass die Abweichung immer noch vorhanden war. Stanni sagte etwas Unflätiges, dann zuckte er mit den Achseln.
»Sich regen bringt Segen.« Er stand auf.
»Nur zu«, antwortete Melba. »Ich komme gleich dazu.«
»Pas problema«, meinte Soledad. »Sie haben ja noch nicht mal den Kaffee ausgetrunken, sa sa?«
Sie sah ihren Leuten nach, war erleichtert, dass sie verschwanden, und wollte sie im gleichen Augenblick zurückrufen. Der Kloß hatte sich vom Hals in den Brustkorb verlagert. Die süßen Brötchen sahen köstlich aus, trotzdem wurde ihr davon beinahe übel. Sie überwand sich und holte einige Male tief Luft.
Es war fast vorbei. Die Flotten waren eingetroffen, die Rosinante war da. Alles lief nach Plan, und wenn nicht zu hundert Prozent, dann doch zumindest beinahe. Ren sollte sie nicht weiter kümmern, sie hatte schon früher Menschen getötet. Es war fast unvermeidlich, dass Menschen starben, wenn die Bombe explodierte.
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