Abaddons Tor: Roman (German Edition)
in den Hangar.
»Stanni? Solé?«, rief sie über das Handterminal. »Macht mal eine Weile ohne mich weiter. Ich habe noch etwas zu erledigen.«
Sie wartete auf die unvermeidlichen Fragen, die Neugierde, das Misstrauen.
»Alles klar«, antwortete Soledad. Mehr nicht.
Im Hangar autorisierte Melba den Flug ihres Shuttles, wartete zehn Minuten auf die Freigabe und schoss seitlich aus der Thomas Prince hinaus in die Schwärze. Die Monitore des Shuttles waren klein und billig, der riesige Weltraum war auf fünfzig mal fünfzig Zentimeter reduziert. Sie ließ den Computer den kürzesten Weg mit höchstmöglicher Beschleunigung zur Cerisier berechnen. Der Flug sollte weniger als eine Stunde dauern. Sie lehnte sich zurück, als führe sie auf einer Achterbahn, und ließ den Verbrennungsantrieb seine Arbeit tun. Aus dem Sternenstaub erschien die Cerisier als kleiner grauer Punkt, auf den sie stetig zuhielt. Wie alle anderen Einheiten der Flottille befand sich auch die Cerisier in der letzten Phase des Bremsmanövers, das am Ring enden sollte. Irgendwo da draußen zwischen all den grellen Abgasfackeln wartete das Ding auf sie. Melba schob den Gedanken zur Seite. Stanni, Soledad und deren heimliche Ängste fielen ihr wieder ein. Daran durfte sie jetzt nicht denken.
Voller Ungeduld wartete sie auf die Wende und den Bremsschub. Sie wollte dort ankommen wie eine Hexe auf dem Besen und den Anflug mit einem irrwitzigen Tempo durchführen, das beim Atmosphärenflug unmöglich gewesen wäre. Sie wartete zu lange und musste den Rest des Fluges bei fast zwei G ausharren. Als sie andockte, hatte sie Kopfschmerzen, und der Unterkiefer fühlte sich an, als hätte sie einen Kinnhaken bekommen.
Niemand fragte sie, warum sie zu früh und allein zurückkehrte. Im Log gab sie persönliche Gründe an. Der Gang durch die engen Korridore, wo sie sich an anderen Crewmitgliedern vorbeizwängen musste, fühlte sich bedrückend und zugleich vertraut an. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie unangenehm ihr die großzügiger bemessenen Räume auf der Thomas Prince gewesen waren. Das hatte zu sehr nach Freiheit geschmeckt, während es ihr allein um Notwendigkeiten ging.
In ihrer Kabine herrschte Chaos. Alle ihre Sachen – Kleidung, Anschlusskabel für das Terminal, Tampons, ein Kommunikationsgerät, Zahnbürste – waren auf dem Boden verstreut. Sie musste den Kram sichern, ehe der Schub aufhörte, sonst würde alles auf den Gang schweben. Natürlich würden sich die Leute fragen, warum sie nicht alles ordentlich verstaut hatte. Schließlich warf sie einen Blick auf die Metallklappe unter ihrer Druckliege. Aus einer Ecke war ein winziger goldener Kringel Dichtungsschaum gekrochen. Sie musste sich eine Art Netz und ein paar Magnete besorgen. Das sollte reichen. Im Grunde war es belanglos, denn was später geschah, war nicht wichtig.
Melba nahm das Kommunikationsgerät an sich und schaltete es ein. Die Signallaufzeit bis zur Rosinante betrug weniger als dreißig Sekunden. Dann lud sie die Sequenz, die sie schon vor Monaten vorbereitet hatte. Vor Jahren sogar. Es war ein kurzes Skript und brauchte nicht einmal eine Sekunde, bis es ihre Bestätigung anforderte.
Die Furcht war verschwunden, genau wie der Hass. Einen Moment lang fühlte sie sich, als sei sie in ihrer winzigen Kabine soeben aus einem Traum erwacht. Ihr Körper war völlig entspannt, beinahe leicht. Sie war einen so weiten Weg gegangen und hatte so hart gearbeitet, und trotz aller Fehler, Ausfälle und Improvisationen in letzter Minute hatte sie es geschafft. Ihr ganzes Leben war auf diesen Augenblick ausgerichtet gewesen, und nun, da er kam, fiel es ihr schwer, auf einen Schlag alles loszulassen. Sie fühlte sich, als bekäme sie an der Universität einen Abschluss oder wollte heiraten. Dieser Augenblick, diese Tat war die Erfüllung all der Dinge, für die sie gekämpft hatte, und danach wäre ihre Welt unwiderruflich eine andere.
Sie kostete jeden Tastendruck aus, gab behutsam die Bestätigung ein – JULES PIERRE MAO – und drückte auf den Sendeknopf. Die bernsteinfarbene LED auf ihrem Kommunikationsgerät leuchtete. Mit Lichtgeschwindigkeit schoss ein winziges Datenpaket voller Informationen hinaus, kaum mehr als ein kurzes statisches Rauschen. Doch die Software auf der Rosinante würde es erkennen. Die Kommunikationsanlage auf Holdens Schiff würde sich der virtuellen Maschine unterordnen, die bereits installiert war und keinesfalls angehalten werden konnte, solange man nicht das
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