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Abaton

Abaton

Titel: Abaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Jeltsch
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Dunkel zuschauten. Die lächelten, als er schließlich eine weiß-rote Signalstange gefunden hatte und mit ihr den Schalter umlegte. Eine U-Bahn rauschte in der Nähe vorbei und Linus hatte keine Chance zu hören, was passierte. Als sie in den Tunnel verschwunden war, horchte Linus erneut. Nichts. Er ging weiter in den Tunnel hinein. Dem Kabel nach. Es kam ihm immer noch still vor. Doch er fühlte sich unwohl. Der Schwindel kam zurück. Er begriff, dass die Wirkung der Angstfreiheit, die er sich noch einmal aufgespielt hatte, wieder nachließ. Bilderfetzen tauchten vor seinem inneren Auge auf. Bilder aus seinem Traum. Die Bühne. Das weiße Licht. Edda. Plötzlich hörte er ihre Stimme.
    „Hilfe!“ Ganz deutlich hörte Linus das Rufen. „Bitte, hilf mir ...“ Linus stand in dem Tunnel und hörte hilflos das schreckliche Flehen des Mädchens ...
    Linus hatte Angst.
    [ 1313 ]
    Warum hilft mir niemand?, dachte Edda. Sie war verzweifelt. Wie lange war es her, seit sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte? Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. Sie konnte sich nicht erklären, wie eine Fahrstuhlkabine so lange fahren konnte und vor allem nicht, wohin. Sie hatte längst den Sinn für Zeit und Ort verloren.
    Für oben und unten.
    Als die Kabine mit einem Ruck zum Halten kam, stand Edda auf und wartete, dass sich eine Tür öffnen würde. Doch nichts geschah. Jetzt war sie nicht einmal mehr sicher, ob sich der Raum wirklich bewegt hatte und ob der Ruck vom Anhalten verursacht wurde oder ob Simon gegen die Tür geschlagen hatte. War wirklich Zeit vergangen oder war sie erst seit einer Sekunde hier? Oder wiederholte sich die eine Sekunde immer wieder?
    Edda schrie.
    [ 1314 ]
    „Bitte ... ich brauche Hilfe!“, flehte Eddas Stimme.
    Linus war auf die Knie gesunken. Er presste die Hände auf die Ohren. Er fürchtete, jeden Moment durchzudrehen. Wieso fiel ihm gerade jetzt der Zauberlehrling ein, das Gedicht, das er hatte aufsagen müssen und das er so schlecht auswendig gelernt hatte?
    „Bitte, bitte ...“ Eddas Stimme wurde immer schwächer, als befände sie sich in Gefahr. In Lebensgefahr. Aber wie konnte das sein? Scheiß auf die Logik, denn damit hatte das hier schon lange nichts mehr zu tun. Linus wollte helfen. Aber wie? Wo? Wo war sie? Der Schwindel in seinem Kopf vernichtete jeden klaren Gedanken. Die Angst hatte ihn im Griff.
    „Edda!“, schrie es plötzlich aus ihm heraus.
    [ 1315 ]
    „Linus ...?“, fragte Edda laut, denn ihr war, als hätte sie ihn eben gehört. Oder hatte sie sich getäuscht? Niemand antwortete.
    [ 1316 ]
    Linus. Hatte er da gerade seinen Namen gehört? Hatte Edda ihn gerufen? Mit letzter Kraft rappelte sich Linus auf und folgte wankend dem Tunnel zurück zum Anfang. Er erreichte den Nord-Süd-Tunnel und mit jedem Meter wurde Linus’ Schritt sicherer. In seinem Kopf hatte sich Eddas Stimme festgesetzt. Er spürte sie. Er spürte, dass er dieser Stimme folgen konnte. Wie einer errechneten Route auf dem Navi. Der schnellste Weg. Bitte. Der schnellste Weg. Linus rannte. Er erreichte den U-Bahnhof und sprintete die Treppe hinauf an die Oberfläche.
    „Edda ...!“ Sie war hier. Konnte nicht weit sein. Er spürte es, nein, wusste es.
    [ 1317 ]
    Die Luft wurde immer dünner. Oder bildete sie sich auch das ein?
    Sie hatte mal gehört, dass man sich nicht bewegen sollte, wenn man keinen Sauerstoff verbrauchen wollte.
    Edda legte den Kopf auf die Knie.
    Sie war plötzlich so müde. Sie musste gähnen und Tränen schossen ihr in die Augen. Mit jedem Gähnen wurde sie müder, hatte das Gefühl, sich aus dem Körper in den Kopf zurückzuziehen. »Zu Fuß durch den Kopf. Eine Reise durchs Gedankengebirge« hieß ein Buch, das sie bei ihrer Großmutter gesehen hatte. Sie wusste nicht, weshalb ihr dieser Titel jetzt einfiel. Aber er hatte etwas Tröstliches. Genau wie der Gedanke an Marie, der sie an diesen Ort geführt hatte. Nein, ihr würde nichts Schlimmes passieren. Edda würde einfach die Ruhe bewahren und nach Innen schauen; wie sie es in Indien gelernt hatte.
    Sie achtete auf ihren Atem und zählte die Atemzüge, um sich zu beruhigen.
    Eins. Ein.
    Zwei. Aus.
    Wie weit die Kabine wohl gesunken war?
    Sie musste ja beinahe am Erdmittelpunkt angekommen sein. Oder in der Hölle, die im heißen Erdinneren auf die Sünder wartete.
    Wie weit sie jetzt wohl von Simon entfernt war? Edda hörte wieder auf zu zählen und rief nach Simon. Doch ihr Ruf blieb unbeantwortet. Sie war viel zu tief unter der

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