Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
dir gut geht.“
Linus lächelte. Da war jemand, der sich Sorgen um ihn machte. Ein Mädchen noch dazu. Ein Mädchen, das ziemlich gut küssen konnte. Auch wenn er das nicht in irgendeinen Vergleich setzen konnte. Denn das Abschlabbern durch Timber zählte nicht.
„Wie ist es dir ergangen?“, fragte Olsen. „Hast du deine Eltern gefunden?“
Linus überlegte, ob er all das erzählen sollte, was er mit Edda und Simon erlebt hatte. Er wollte sich kurz fassen, aber dann war plötzlich alles so präsent, dass er erst endete, als die Frühstückstische längst abgeräumt und für den nächsten Morgen gedeckt waren.
„Was ist aus deinen Freunden geworden?“, fragte Olsen. Linus zuckte mit den Schultern.
„Ich werde sie suchen“, sagte er.
„Soll ich dir helfen?“
Linus schwieg. Er überlegte. Mit Olsen fühlte er sich sicher. Aber er hatte das Gefühl, dass er lernen musste, sich sicher zu fühlen, auch wenn er alleine war. Olsen wartete gar keine Antwort ab. Er schrieb Linus seine Handynummer auf.
„Jederzeit“, sagte er nur.
„Was machen Sie jetzt?“, fragte Linus.
„Ich bleibe erst mal hier in Berlin. In der Guineastraße ist eine Wohnung frei geworden, hab ich gehört.“ Und dann sagte er noch einmal „Jederzeit“, als Linus schon an der Tür war und ging. Den Autoschlüssel hatte er zurückgelassen.
Ich habe einen Menschen getötet, dachte Linus. Das war das Einzige, was er noch denken konnte. Er wollte es loswerden. Lief los. Einfach in eine Richtung. Immer schneller. Weg. Einfach nur weg. Rennen und vergessen. Rennen. Schneller. Kein Blick auf die Ampeln. Auf die Autos. Rennen. Vergessen. Das Herz spüren bis in den Hals. Rennen. Bis der Atem aussetzte. Er stehen bleiben musste. Und sich übergab, direkt vor einem chinesischen Lokal.
„Det is ja ma ’ne Reklame, wa?“, sagte ein älterer Mann und ging kopfschüttelnd weiter. Linus sackte an der Tür des Lokals zusammen.
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„Du hast ihn dir selber ...?“ Nikto konnte das nicht fassen. „Selber abgeknipst?“ Es war eine sternklare Nacht geworden. Simon und Nikto standen auf der „Terrasse“ und Simon hatte seinem Freund erzählt, wie er seinen Finger verloren hatte.
„Wo sind diese Scheißtypen?“, fragte Nikto. Er war sofort bereit, Rache zu nehmen. Rache für seinen „Bruder“. Simon gefiel das. Es tat ihm so gut, jemanden zu haben, der fest und unerschütterlich an seiner Seite stand. Die Begegnung mit Nikto ließ Simon an so etwas wie Seelenverwandtschaft glauben. Wenn er nicht absolut sicher gewesen wäre, dass er nicht schwul war, hätte Simon geglaubt, dass er sich verliebt hatte.
„Bin ich auch nicht“, sagte Nikto.
„Was?“
„Schwul.“
„Wie?“, fragte Simon, als begriffe er nichts.
„Simon, du hast daran gedacht, dass du nicht schwul bist. Korrekt?“
Simon schüttelte den Kopf.
„Wie machst du das?“
„Ach, lange her“, sagte Nikto. „Als ich so alt war wie du jetzt, da gab es bei Moskau ein Camp. Für Hochbegabte ... so was. Naja, ich war da und danach war nichts mehr wie vorher. Bin da abgehauen. Da sind die hinter mir her.“ Er verstummte. In Simons Kopf aber hatte das Kombinieren längst begonnen.
„ GENE-SYS “, sagte er. Nikto sah ihn erstaunt an.
„Du auch?“
Simon nickte.
„Auch abgehauen?“
„Ja.“
„Mann, Mann, Mann ... sind wir tatsächlich Brüder. Bin ich Kenner, oder was?“ Er lachte. „Ich dachte, ich bin der Einzige, der ihnen entkommen ist.“ Nikto berichtete von seiner Zeit nach dem Camp. Wie er beschloss, der Verfolgung entgegenzutreten. Wie er begann zu recherchieren, was GENE-SYS wirklich im Schilde führte. Wie er begriff, dass sie ihn schon sein Leben lange beobachtet und vielleicht sogar manipuliert hatten. Wie er an einem bestimmten Punkt nicht mehr wusste, was echt gewesen war in seinem Leben. Wie er dann aus Russland geflohen war, zu seinem älteren Bruder, der in Berlin lebte und sein Geld mit dubiosen Geschäften verdiente, bis er eines Tages tot im Landwehrkanal gefunden wurde.
„Selbstmord, hatten die Bullen behauptet“, sagte Nikto und schüttelte den Kopf. Und das Einzige, das er bis dahin über GENE-SYS herausgefunden hatte, war, dass es diese Camps weltweit gab und dass der Name des Projektleiters William Bixby war. Ein Amerikaner.
Simon kannte diesen Namen nicht. Dennoch konnte er nicht fassen, wie viele Parallelen es zwischen seinem und dem Leben von Nikto gab. Er öffnete sich und berichtete von seiner Familie. Nicht nur von
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