Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
Simpson als Ballonhülle. Schlaff noch waren die konventionellen Ballons und die Hülle, auf die es Simon abgesehen hatte. Er hatte sie in einem der Prospekte entdeckt. Ein MiG-Kampfjet. Nikto grinste, als er ihn entdeckte. Immer mehr heiße Luft ließ den „Jet“ in immer vollerer Pracht am Himmel stehen. Noch hielten ihn starke Seile am Boden. Die Ballonfahrer schleppten Gasflaschen in den Korb, der unter dem riesigen Ballon angebracht war. Simon und Nikto schlenderten näher. Sie waren nicht die einzigen Interessierten, die hier schon so früh auf den Beinen waren. Die beiden Freunde fielen nicht weiter auf. Als die drei Männer, die den „Jet“ beluden, zu ihren Lieferwagen gegangen waren, um noch irgendein Zubehör zu holen, schauten sich Nikto und Simon an. Und mit einem Satz war Nikto in den Korb geklettert.
„Du musst die Seile lösen“, rief er Simon zu.
Simon versuchte das, doch es gelang ihm nicht. Erst als er sah, dass Nikto die Seile am Korb löste und über Bord warf, war ihm klar, was er vorhatte. Der Jet stieg.
„Die besten bleiben oben!“, rief Nikto. Da hatte sich der Korb schon über einen Meter vom Boden erhoben. Nikto probierte an der Gaszufuhr herum und feuerte Vollgas. Schnell stieg der Ballon. Simon war nach der ersten Schrecksekunde zum Ballon gesprungen, wollte sich festklammern. Doch die Männer, denen der Ballon gehörte, waren hinter ihm und hielten ihn zurück. Sie schimpften auf Nikto, fluchten. Nikto aber stand am Rand des Korbes und salutierte. Er hatte schon gut zehn Meter zwischen sich und die Erde gebracht. Simon da unten wurde immer kleiner.
„Mach’s gut, Bruder! Wir sehen uns!“, rief Nikto. „Immer das Sein, niemals der Schein!“
Simon verließen die Kräfte. Er musste sich setzen. Reglos sah er den „Jet“ in den Himmel ziehen. Immer höher. Ohne Unterlass. Und dann war er nicht mehr zu sehen. War davon durch die dünnen Wolken. Unsichtbar.
Konsterniert standen die Besitzer immer noch da. Und während zwei aufgeregt telefonierten, packte sich der dritte Simon.
„Ist das dein Freund?“
„Nee. Mein Bruder“, sagte Simon fest.
„Na, da können sich deine Eltern auf was gefasst machen“, fluchte der Mann.
„Gut“, sagte Simon.
„Der kann draufgehen. Ist dir das klar?“
„Ja.“ Simon löste seinen Blick zum ersten Mal von dem Ballon und sah ruhig diesen Mann an. „Ja, das ist mir klar.“ Dann ließ er den verblüfften ballonlosen Ballonfahrer stehen.
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Als Edda die Augen aufschlug, war es hell. Die Sonne schien. Edda lag auf einem Bett. Jemand hatte sie zugedeckt.
Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, wo sie war.
Bruchstücke der Nacht kehrten zurück. Aus dem Heim. Von Lucy. Bilder aus dem Club. Sie hatte getanzt. Daran erinnerte sie sich. War da ein Junge gewesen?
Edda richtete sich auf und fasste unter die Decke. Sie war bekleidet. Zum Glück. Doch der Reißverschluss ihrer Jeans war offen. Hatte jemand sie heruntergezogen? Nein, sie waren viel zu eng, als dass man sie hätte wieder hochziehen können, ohne dass Edda etwas davon bemerkt hätte. Trotzdem wurde ihr unwohl. Was war passiert? Wieso konnte sie sich nicht erinnern? Sie hatte ein paar Schlucke aus dem Glas genommen, kaum etwas gespürt. Erst als sie mit dem Jungen nach draußen gegangen war. Wie war sie in diese Wohnung gekommen? Wem gehörte sie und wo war Lucy? Edda setzte die Füße auf den Boden und stand auf. Sie öffnete die Tür des kleinen Zimmers und stand auf einer Galerie, die zwei Meter nach unten abfiel. Unten auf einem weißen Flokatiteppich lag Lucy ausgestreckt in Unterwäsche und schlief. Den Kopf auf den Arm gelegt. Edda ging die Treppe hinunter und schaute sich in dem Loft um. Auf einem flachen Tisch standen Weinflaschen und Edda sah Reste von Drogen. Sie hörte die Musik, die aus Lucys Kopfhörern schepperte, die neben ihr auf dem Boden lagen. Sie kniete sich neben ihre neue Freundin und strich ihr über den Kopf. Lucy öffnete die Augen und schloss sie gleich wieder, als sie Edda sah. Sie stöhnte, rollte sich in den Teppich, wollte weiterschlafen.
„Hey! Wo sind wir?“, fragte Edda leise.
Aus blutunterlaufenen Augen starrte Lucy Edda an. Sie brauchte eine Weile, bis die optischen Signale in ihrem Hirn ankamen und Lucy so etwas wie eine Antwort hervorstammeln konnte.
„Scheisssse!“
„Was ist denn?“, fragte Edda besorgt.
„Meine Omme! Als wär’ sie gegen ’nen Pfeiler geknallt.“
„Wo sind wir hier?“
Orientierungslos
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