Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
Schulter.
„Kriegen wir eben ’ne Tochter.“
„Oder Zwillinge“, sagte Simon.
Edda lachte. Sie wunderte sich, wie leicht das alles ging. Die Wärter von ihrer Schwangerschaft zu überzeugen, mit Simon über den Nachwuchs zu albern. Eigentlich müsste sie angespannt und konzentriert sein. Geplänkel war ihre Flucht vor schwierigen Momenten. Vor Entscheidungen. Da hatte sie schon immer nach Zerstreuung gesucht. Und meist sogar gefunden. Da war sie abgetaucht, tief in sich hinein, und kam erst dann wieder an Deck, wenn sie nicht mehr das Gefühl hatte, irgendjemand erwarte etwas von ihr.
„Mein Vater ist ziemlich eigen, inzwischen“, sagte Simon. Er wollte Edda ein wenig auf die Begegnung vorbereiten. Möglich, dass das peinlich werden konnte. Am liebsten wäre Simon seinem Vater alleine begegnet, aber nach Eddas Show ging das nicht mehr. Simon streckte sich. Er wollte möglichst erwachsen und souverän wirken, wenn der Vater auftauchte.
Als die Tür sich öffnete, schaute Simon den Mann, der den Raum betrat, verwirrt an. Dieser Mann war nicht sein Vater, doch er kam direkt auf sie zu. Er trug einen weißen Kittel, weiße Hose, weiße Schuhe. Edda rückte unwillkürlich zurück. Ein Reflex auf die vielen unschönen Erlebnisse mit den Ärzten ihrer Mutter. Die sie immer wieder von der Mutter getrennt hatten.
„Simon Fröhlich?“, fragte der Mann.
Simon nickte.
„Wo ist mein Vater?“
Der Mann in Weiß zögerte zu antworten.
„Ich bin Dr. Schwartz, der behandelnde Arzt hier in der JVA.“
„Was ist mit meinem Vater?“
Dr. Schwartz sah den Jungen an, sah zu Edda.
„Am besten Sie folgen mir ...“ Schwartz ging voraus, Simon folgte und Edda lief neben ihm her. Sie spürte seine Angst, seine Anspannung und griff wie selbstverständlich nach Simons Hand. Simon nahm es kaum wahr, so richtig fühlte es sich an. Gut. Warm. Einer der Schließer folgte ihnen auf dem Weg durch die Gänge, bis sie die Krankenabteilung erreichten. Dr. Schwartz wartete an der Tür und ließ Edda und Simon eintreten. Dann wies er sie mit einer Geste weiter. Bis zu einem Krankenzimmer. Durch das Fenster in den Raum konnten sie zwei Patienten liegen sehen. Einer schlief, der andere hockte vornübergebeugt in seinem Bett. In ihm erkannte Simon seinen Vater.
„Was hat er?“
„Man hat ihn vergiftet.“
„Wer? Womit?“ Simon bedrängte den Arzt.
„Hier drinnen einen Schuldigen zu finden, das ist nicht einfach. Das Gift besteht aus Ibogain, einer afrikanischen Droge, und aus uns unbekannten Zusätzen. Es hat auf jeden Fall eine starke halluzinogene Wirkung. Wir wissen zu wenig über diese Droge. Wenn man zu viel davon nimmt ...“
„Was dann?“ Simon wurde laut, drängte. „Stirbt er?“
Der Arzt schüttelte den Kopf.
„Nein. Nein, davon gehe ich nicht aus. Aber wir wissen nicht, ob Ihr Vater je wieder aus seinem jetzigen Zustand zurückfindet. Insofern bin ich froh, dass Sie hier sind. Möglicherweise verändert sich sein Zustand, wenn Sie ihm begegnen und er Sie erkennt.“
Der Arzt sah Simon an und merkte erst jetzt, wie sehr der Junge versuchte, sich im Griff zu haben. Edda stand bestürzt neben ihm.
„Möchten Sie?“, fragte der Arzt.
Simon nickte. Er sah zurück zu Edda. Ihr aufmunternder Blick gab ihm Kraft. Simon öffnete die Tür zu dem Krankenzimmer und ging hinein.
Nach einem Schritt in das Zimmer blieb er stehen. Hinter ihm fiel die Tür wieder ins Schloss. Weder der Schlafende noch Simons Vater reagierten in irgendeiner Weise auf das Geräusch. Vornübergebeugt saß Simons Vater in seinem Bett. Simon bemerkte das Gitter vor dem Fenster, die Kamera an der Zimmerdecke. Er machte einen Schritt auf den Vater zu. Jetzt erst sah Simon, dass sein Vater etwas notierte. Auf seinen Fingern. Er schrieb mit einem Stift auf seine Finger. Kleine, seltsame Zeichen.
„Papa?“
Der Vater reagierte nicht. Simon fiel es schwer seine Haltung zu bewahren. Am liebsten wäre er dem Vater um den Hals gefallen, hätte ihn umarmt. Aber alles an dem Vater war ein Signal, das auf Abwehr stand. Simon kam dennoch einen Schritt näher. Er streckte die Hand aus, um ihn zu berühren. Hielt plötzlich inne. Jetzt konnte er die Zeichen erkennen, die der Vater fortlaufend auf seine Finger, seine Hand schrieb wie orientalische Hennazeichnungen. Simon erkannte runde Zeichen. Zeichen, die ihn an die Sonnenräder erinnerten, die Linus in dem U-Bahn-Tunnel fotografiert hatte.
Simon kam noch näher.
Immer noch nahm der Vater keine
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