Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
Notiz von ihm. Dann berührte der Sohn die Schulter seines Vaters. Dieser erschrak, starrte Simon an. Wich zurück und verharrte.
„Papa, ich bin’s. Simon.“ Langsam streckte er seine Hand wieder vor. Simons Vater schaute darauf. Und als die Hand nahe bei ihm war, ergriff er sie und begann sofort darauf zu schreiben. Fortlaufend skribbelte er akkurate Zeichen, Linien und Sonnenräder auf die Hand seines Sohnes. Simon ließ es geschehen. Er wartete. Spürte, dass der Vater ihm trotz der scheinbaren Abwesenheit ganz nah war. Und dann vernahm er in seinem Kopf immer nur einen Namen. „Melchior, Melchior, Melchior.“ Der Vater brach seine Kritzeleien plötzlich ab, sah Simon kurz in die Augen – dann wandte er sich wieder den Aufzeichnungen auf seiner eigenen Haut zu und führte sie fort.
Edda und Dr. Schwartz hatten der Szene wortlos zugesehen. Zurück im Flur erläuterte Dr. Schwartz hilflos den Stand seiner Erkenntnisse. Edda kam zu Simon. Er konnte ihre Nähe jetzt brauchen. Der Arzt ging davon aus, dass dieses Ibogain so weit verändert oder mit etwas anderem gestreckt worden war, dass man es rauchen konnte.
„Es war ein graues Pulver“, erklärte er.
Simon nickte. Er erinnerte sich an sein Entkommen aus der JVA Charlottenburg. Daran, wie er im Hof gefunden worden war. Und daran, dass er vorher von den Drogen, die er Mumbala gestohlen hatte, etwas eingeatmet hatte. Auch das war ein graues Pulver gewesen. Nun war sein Vater Opfer dieser Droge geworden. Simon hasste den Lebensgefährten seiner Mutter. Und er hasste sich selbst. Warum hatte er seinem Vater diese gefährliche Droge gebracht? Wenn Simon ehrlich war: Mumbala hatte ihn gewarnt und er hatte nicht gehört.
„Was sind das für Zeichen?“, fragte Edda, die die Kritzeleien auf Simons Händen entdeckt hatte. Simon zuckte mit den Achseln.
„Er malt nur so Zeug, auch auf seine Haut.“
„Weißt du, wie das aussieht?“
„Wird er wieder wie früher?“ Simon wusste, worauf Edda mit ihrer Frage anspielte, und ignorierte sie. Dr. Schwartz zuckte mit den Schultern. Er wusste es nicht. Er hatte noch niemals einen solchen Fall behandelt.
„Das Verhalten deines Vaters zeigt Züge von Autismus. Aber ich kenne keinen Fall, in dem Autismus durch eine Droge ausgelöst worden ist.“
„Sie müssen dieses Zeug untersuchen“, sagte Edda.
„Wir haben keines“, sagte Dr. Schwartz. „Keine Reste von dem, was man ihm verabreicht hatte.“
Sie schauten wieder zu dem Vater, an dessen Verhalten sich nichts geändert hatte.
„Wer hat ihm das angetan?“, fragte Simon schließlich.
Dr. Schwartz schüttelte den Kopf.
„Das haben wir nicht herausgefunden“, sagte er. „Und das werden wir auch nicht. Von den Insassen hier wird niemand reden.“
Simon hatte plötzlich eine Eingebung.
„Geister-Bob!“
Edda und der Arzt sahen ihn fragend an.
„Es gab eine Schießerei, vor ein paar Wochen. In Schöneberg. Einer der Täter wird Geister-Bob genannt. Er sieht wirklich aus wie ein Geist, lange graue Haare. Ist der hier gelandet?“
Dr. Schwartz sah Simon irritiert an.
„Meinen Sie – ihn?“
Er deutete auf den Schlafenden im zweiten Bett. Simon erschrak. Keinen Moment hatte er auf den fremden Mann geachtet. Jetzt erkannte er ihn. Es gab keinen Zweifel: Der Mann, der da im Bett neben seinem Vater schlief, war Geister-Bob.
„Was ist?“, fragte Edda. Sie sah, wie aufgewühlt Simon plötzlich war. „Melchior. Melchior.“ In seinem Kopf erklang wieder der Name. Die Angst, die er empfunden hatte, als Geister-Bob und sein Komplize an die Tätowierung auf seinem Kopf wollten, war zurück.
„Sie dürfen diesen Mann nicht bei meinem Vater lassen“, flehte Simon den Arzt an. „Bitte. Das müssen Sie mir versprechen.“
„Was ist mit ihm?“
„Er hat den Auftrag, eine Erfindung meines Vaters zu stehlen. Eine wichtige Erfindung.“ Simon zögerte, als müsste er sich selbst erst klarmachen, was der nächste Satz bedeutete. Dann sprach er ihn aus. „Er ist bereit, dafür zu töten.“
„Bitte!“ Dr. Schwartz schüttelte ungläubig den Kopf. Simon konnte das nicht ertragen. Er wollte zurück in das Zimmer, zu seinem Vater.
„Lassen Sie die Patienten bitte in Ruhe! Sonst lasse ich Sie entfernen!“
Doch Simon hörte nicht auf Dr. Schwartz. Er drängte sich an dem Arzt vorbei und lief über den Flur zum Zimmer seines Vaters.
„Papa! Du musst raus hier! Papa!“ Simon flüsterte eindringlich, um Geister-Bob nicht zu wecken. Sein Vater
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