Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
der Halle auf. An den Beckenrand traten zwei Polizisten in Uniform.
„Nu aber ma’ janz flott raus da!“, sagte der eine und der andere meldete schon an die Zentrale, dass sie die Ursache für den Alarm gefunden hatten.
„Hätt’ wohl doch nicht reinpinkeln sollen“, lachte Linus.
„Bewegt eure Ärsche da raus!“
„Aber umdrehen!“, kicherte Linus weiter.
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Die Arrestzelle roch furchtbar säuerlich. Sie wurde vor allem zum Ausnüchtern genutzt, da war es nur logisch, dass sich trotz allen Zutuns von Sagrotan die Übelkeit über all die Jahre hier als ständiger Gast eingenistet hatte.
Bis zur Feststellung der Personalien wurden Edda, Linus und Simon in unterschiedliche Arrestzellen gesteckt. Ein letztes Mal sahen sie sich in die Augen, als sie aus dem Büro des zuständigen Kommissars weggeführt wurden.
Die Tür fiel hinter Simon ins Schloss. Er hörte, wie der eiserne Riegel vorgeschoben wurde. Dann stand er verlassen da, und obwohl er Eierlikör intus hatte, war es nicht der Alkohol, der ihm das Gefühl gab, sich übergeben zu müssen. Es war auch nicht der Geruch. Es war die Angst. Getrennt von den Freunden. Allein. Was würde passieren? Sie hatten geschwiegen, hatten keine Angaben zur Person gemacht. Ihre Ausweise, ihre Handys hatten sie ja längst nicht mehr. Aber die Polizei würde sicher Mittel und Wege haben festzustellen, wer sie waren. Was, wenn sie sie getrennt befragten? Wenn einer der beiden Freunde schwach werden würde? Wenn Linus oder Edda sie verraten würden. Ganz schnell hätte man Simons Mutter ausfindig gemacht. Der Vater im Knast. Man würde ihn zurückschicken nach Mannheim.
Simon wollte das nicht. Niemals wieder wollte er in sein altes Leben zurück. Niemals wieder wollte er seiner Mutter begegnen. Sie war Teil dieser seltsamen GENE-SYS- Sekte. Sie hatte gewusst, was mit ihm geschehen sollte. Und sie war sicher so naiv gewesen, dass sie den Versprechungen von einer besseren Welt aufgesessen war. Dann noch dieser bekiffte Mumbala. Sie hatten ihn alle einwickeln wollen. Wie ein kleines Kind hatte er nur noch Ja und Amen zu allem sagen sollen. Aber er war kein kleines Kind mehr. Simon fühlte sich erwachsen. Nach allem, was er erlebt hatte mit Edda und Linus. Was sollte ihm jetzt noch etwas anhaben?
Simon hatte gehofft, dass er sich diese Gedanken glauben würde. Dass er wirklich nichts mehr für seine Mutter empfand. Aber das war nicht so. Immer, wenn er in Wut an seine Mutter dachte, schob sich ein ganz anderes Bild aus seiner Erinnerung in den Vordergrund. Das Bild von den Sonntagen im Odenwald. An dem Bach. An dem die Mutter David und ihm die Schönheit der Natur zeigte. Als sie sie aufforderte, immer genau hinzuschauen, auf all das, was Leben ist. Dass all das schön ist. Vom Raubvogel, erhaben am Himmel, bis zur grauen Kröte im dunklen Erdloch.
Simon war längst klar, dass David damals viel besser hingehört hatte. Er hatte sie wirklich verstanden. Simon wurde jetzt erst langsam klar, dass er damals noch nicht reif für diese Dinge gewesen war. Er war immer lieber bei seinem Vater, der an diesen Sonntagen die Bäche beobachtete, die Forellen darin. Die Energie, mit der sie schwammen und flussaufwärts flohen. Warum nicht flussabwärts? Warum gab es so viele Quellen auf hohen Bergen, wo Wasser doch nach unten fließt? Simons Vater arbeitete schon damals an seinen Ideen zur Freien Energie.
Da war so viel Wärme und Glück in seiner Erinnerung, dass Simon schnell wieder alle Wut auf seine Mutter verlor. Warum war sie ihm nur so fremd geworden nach Davids Tod? Warum war all das Schöne zerbrochen? Warum spürte er immer noch diese Kälte und diese Angst, wenn er an diesen Tag im Winter dachte?
Simon erinnerte sich daran, dass Linus davon erzählt hatte, wie er Kontakt zu Edda bekommen hatte. Als er Angst um sie hatte. Dass er über Gedanken mit ihr reden konnte. Simon hatte keine Ahnung, wie das funktionieren könnte. Er hatte zwar Davids Stimme gehört, als er auf den Schienen lag. Und er hatte die Stimme des Vaters vernommen, der in dem Wagen der JVA davonfuhr, aber er hatte eben immer nur „empfangen“. Linus und Edda konnten sich verständigen. Senden und empfangen. Weil sie sich liebten?
Simon hockte sich hin, schloss die Augen und dachte an Edda. Er versuchte sich zu konzentrieren, doch immer wieder kamen ihm Bilder in den Sinn, wie Edda im Dunkeln wie ein nackter Schatten ins Wasser sprang. So elegant, so leicht. Oder er dachte an ihr Gesicht in der
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