Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)

Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)

Titel: Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kraemer
Vom Netzwerk:
bringen, dass ihre Mutter in der Klapse saß und dass sie aus der Nähe von Cuxhaven stammte. Aber würden sie wissen, was mit Marie passiert war? Sollte Edda noch einmal versuchen, den Beamten zu vertrauen? Edda nahm sich vor, es nicht zu tun. Warum hätten sie ihr diesmal glauben sollen?
    Sie hielt die Augen geschlossen und spürte dennoch die Augen der beiden anderen Mädchen auf sich gerichtet. Es machte ihr nichts aus. Sie hatte sich mit dem Ton wie mit einem Schutz umgeben. Sie dachte an die Raupen, die sie als Kind in den Dünen von den Weidenröschen gesammelt hatte. Die sie in ihr Terrarium gebracht und beobachtet hatte, wie sie sich verpuppten. Wie sie diese Tiere beneidet hatte. Wie sehr sie immer gehofft hatte, einen solchen Kokon zu finden, der sie verwandeln würde. Aus dem sie hervortreten würde wie ein wunderschöner Schmetterling. Edda lächelte in ihren Gedanken an diese naive Vorstellung. Es war ein Lächeln ohne Bedauern. Ein Lächeln in der Erinnerung an das kleine, naive Mädchen, das sie einmal gewesen war. Sie begriff, dass sie erwachsener geworden war. Edda öffnete die Augen und sah, dass die beiden Mädchen sie immer noch anstarrten.
    „Buh!“, blaffte sie sie an. Die beiden Mädchen zuckten zusammen. Sie drängelten sich an der Wand entlang zur Tür, klopften und riefen. So lange, bis sich die Sichtklappe öffnete und das Gesicht eines wachhabenden Beamten zeigte.
    „Was ist?“, fragte er genervt.
    „Bitte, können Sie uns nicht nach Hause lassen?“, fragte eines der Mädchen. „Die da ist total verrückt.“ Sie deutete auf Edda. Die Augen des Beamten wanderten zu Edda. Die hockte auf der Pritsche und genoss das hysterische Schauspiel der beiden Tussen.
    „Tja ...“ Der Beamte schob die Sichtklappe wieder zu. Edda fletschte die Zähne, biss zweimal laut zu und kniff die Augen zusammen, als sie die Mädchen fixierte. Und Edda bellte. Sie hatte keine Ahnung, warum sie das machte. Es tat ihr einfach gut. Vor allem tat es ihr gut, anders zu sein als die beiden Abziehbilder von ihrem eigenen Ich. Erst jetzt, im Spiegel der beiden Mädchen, begriff Edda, wie oberflächlich sie gelebt hatte. Sie war tatsächlich in einem Kokon gefangen gewesen. Gesponnen aus den Erwartungen der anderen an sie. Das, was sie in den letzten Monaten erlebt hatte, hatte sie befreit. Nicht als schöner Schmetterling war sie dem Gespinst entkommen, sondern als wahre, echte Edda. Als Kriegerin. Und so gefiel sie sich.
    Kurz darauf wurde die Tür wieder aufgeschlossen und die beiden Mädchen wurden von ihren Eltern abgeholt. Heulend und erleichtert fielen sie ihren Müttern in die Arme. Edda konnte es kurz beobachten, solange die Tür ihrer Zelle noch offen stand. Dann fiel sie wieder ins Schloss und es war still. Edda schaute auf die Kritzeleien an den Wänden. Flüche standen da, Schwänze und Brüste prangten in allen Dimensionen. Edda erinnerte sich an die Geschichten, die Marie ihr erzählt hatte. Von den Höhlenmalereien in der Dordogne. Marie hatte unzählige Bücher darüber und Edda hatte staunend vor den Bildern gestanden, die vor über 17.000 Jahren gezeichnet worden waren. Die Pferde, die Büffel ... Für Edda waren das uralte Comics gewesen. Jedes Mal, wenn sie eines der Bücher angeschaut hatte, nahm sie die Schönheit der Zeichnungen aufs Neue gefangen. Nun stand sie wie eine Archäologin vor den hässlichen Obszönitäten dieser Arrestzelle. Es fiel ihr schwer, an die Evolution zu glauben. Daran, dass die Menschen sich wirklich weiterentwickelt hatten.
    „Geht es dir gut?“
    Plötzlich war diese Frage in ihrem Kopf. Edda wusste sofort, dass es Linus war, der mit ihr Kontakt aufnahm. „Okay“, dachte sie. „Und dir?“
    „Kater hab ich“, vernahm Edda als Antwort und lächelte. „Nie wieder Eierlikör. Was ist mit Simon?“, wollte Linus wissen.
    „Keine Ahnung.“
    „Angst?“
    „Nö.“
    „Ich auch nicht. Aber wieso können wir uns dann verständigen?“, wunderte sich Linus. Er war von Anfang an allein in der Zelle gelandet und hatte, angespornt vom Alkohol, die erste Stunde damit verbracht, die Beamten zu nerven. Er hatte ständig geklopft, gerufen und die Uniformierten auf Trab gehalten. Als sie auf seine Spielchen nicht mehr reagierten, war er mit seinem Restalkohol im Kopf auf die Idee gekommen, Hose, Strümpfe und Schuhe mithilfe der Schnürsenkel miteinander zu verbinden und vor dem Sichtfenster in der Tür baumeln zu lassen, als habe er sich aufgehängt. Als die Polizisten

Weitere Kostenlose Bücher