Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
Pfarrhaus.
„Na, fein gebacken?“, fragte Helga Judith.
„Ja, sensationell!“ Judith strahlte; viel zu sehr, als dass sie es ernst gemeint haben könnte.
„Feinfein!“ Helga hatte null Gespür für Ironie. Schnell gab sie Judiths Mutter noch einen Zettel mit den Daten für die nächsten Chorproben und ging.
„In freier Wildbahn wäre sie lebensunfähig“, spottete Judith.
„Sei ein wenig gnädiger in der Beurteilung von Menschen“, sagte ihre Mutter.
„Und wie redest du über Papa?“
„Dein Vater hat uns sitzen lassen.“
„Dich.“
„Schnall dich an“, sagte Judiths Mutter nur und fuhr los.
Clint sah auf die Uhr. Es war kurz nach vier. Er war gerade von der Avus abgebogen und fuhr den nächtlichen Kudamm entlang. Er hatte noch genügend Zeit alles so vorzubereiten, dass die Polizei keinen Verdacht schöpfen würde. Wenn alles gut ging. Aber Clint wusste gut genug, dass die Menschen immer nur das wahrnahmen, was sie wahrnehmen wollten. Weil sie nie ohne Vorurteil auf die Dinge schauten. Schwarz und Weiß, Gut und Böse. Die simplen Parolen waren die, die am lautesten krakeelt wurden. Er wusste das. Er hatte in aller Welt die Parolen vernommen, die Menschen in den Straßen skandierten. Parolen, von denen sie nicht wussten, dass sie exakt auf ihren Horizont zugeschnitten waren. Clint hatte nie Respekt vor der Masse Mensch gehabt und seine Erlebnisse hatten ihn darin bestätigt. Menschen waren nichts anderes als Herdentiere. Schick einen voran, der laut schreit, und alle rennen hinterher. Wie eine Bienenkönigin und ihr Schwarm.
In einem Fotofix im Bahnhof Zoo machte Clint ein paar Aufnahmen von sich. Dann marschierte er auf die fast leere Bahnhofstoilette. Zwei Junkies setzten sich gerade gegenseitig einen Schuss und nahmen Clint gar nicht wahr.
„Abschaum!“, dachte Clint. Mit welchem Recht waren diese Menschen auf dieser Welt und atmeten dieselbe Luft wie er? In Momenten wie diesem hatte Clint das Gefühl, dass sein Job, Menschen zu beseitigen, viel zu wenig gewürdigt wurde.
Clint wartete nicht lange. Er saß in einer der Kabinen und hörte, wie jemand auf die Toilette kam und zielstrebig in die Kabine neben ihm ging. Kurz darauf tauchte unter der Zwischenwand eine Hand auf. Clint legte Robs Ausweis und eines seiner eigenen Passfotos hinein. Die Hand verschwand. Es war still. Nur das Atmen von nebenan war zu hören, ein leichtes Pfeifen gesellte sich dazu, wenn der Fremde neben Clint durch die Nase einatmete. Als sei es ein heimliches Signal bei einer Aktion im dunklen Urwald, dachte Clint.
Die Hand erschien wieder und hielt ein Kuvert. Clint nahm es und fand einen Zettel darin. »2000 Euro« stand da. Clint holte vier Fünfhunderter aus der Tasche, packte sie in das Kuvert und gab es zurück.
„Acht Uhr. Gleiche Stelle“, hörte Clint eine leise Stimme mit asiatischem Klang.
Kaum zwanzig Minuten nach acht erschien Clint auf der Polizeiwache. Er wies sich als Rob aus. Der bearbeitete Originalpass reichte aus, den Beamten zu überzeugen. Schließlich hatte Clint ja auch den Ausweis von Linus dabei. Während einer der Beamten ging, um Linus aus der Arrestzelle zu holen, nahm Clint den zuständigen Beamten beiseite.
„Ich nehme an, er wird Theater machen“, sagte Clint. „Er wird behaupten, ich sei nicht sein Ziehvater. Das ist ein Spielchen, das er schon einige Male gespielt hat.“
„Hat’s funktioniert?“, fragte der Beamte.
„Ab und an“, sagte Clint. „Manche Ihrer Kollegen haben sich beeindrucken lassen. Frauen vor allem.“
„Kann ich mir denken.“ Der Beamte grinste. Wie leicht es war, sich mit so dummen Männern zu verbrüdern, dachte Clint. Kein Schlag bei den Weibern und schon spielen sie den Macho.
Dann wurde Linus gebracht. Er bliebt stehen, starrte Clint an. Der Beamte grinste.
„Hallo, Linus“, sagte Clint. „Wir haben uns solche Sorgen gemacht ...“
„Er lügt!“, rief Linus. „Der ist nicht Rob. Der ist ein Killer. Ein Söldner!“
„Klar!“ Der Beamte glaubte Linus kein Wort. „Und ich bin George Clooney. Nehmen Sie ihn mit“, sagte er zu Clint und dann wandte er sich noch einmal Linus zu. „Und dich will ich hier nicht mehr wiedersehen.“
„Bestimmt nicht“, sagte Linus. „Weil der mich umbringen wird.“ Er wehrte sich, als Clint ihn am Arm packen und herausführen wollte. „Rufen Sie in Köln an!“, rief Linus.
„Ja. Haben wir gemacht. Und wer war dran?“ Er sah Linus an und deutete dann auf Clint. „Er hat einen Ausweis
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