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Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)

Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)

Titel: Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kraemer
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Pfote, dann fiel sie schlapp auf den Boden.
    Man packte sie auf eine Trage, schnallte sie fest, rollte sie einen langen Flur entlang und brachte sie hinab in einen anderen Teil des Heims.
    Edda schlief.
    Tief und fest.
    Während sie schlief und man sie in ein Bett legte, hatte Edda einen Traum: Im Rücken die Sonne, schaute sie auf ein Tal hinab und sah mit ihren scharfen Augen, wie sich die kleinen Tiere dort in ihre Mulden duckten. Weil sie Angst vor dem Tier auf dem Berg hatten. Vor Edda. Sie spürte, wie der Wind über ihr Fell strich, und dass er alles zu ihr trug, was sie wissen musste. Sie brauchte sich nicht anzustrengen, um zu sehen, was unten im Tal vor sich ging. Ihre feine Nase und ihre Ohren nahmen alles wahr; sagten ihr, was sie wissen musste. Sie fühlte sich eins mit sich und der Welt, die sie umgab. Sie ruhte vollkommen in sich und wusste, dass darin ihre Kraft begründet war. Sie lebte und sie spürte das Leben, ohne wissen zu wollen, woher es kam und wohin es gehen würde.
    Wie ein Tier.
    Wie Edda.
    Sie blinzelte mit den Augen. Für einen perfekten Augenblick war Edda selig und ohne Wünsche. Ohne Regungen ihrer Sinne und ihrer Instinkte. Vielleicht war dies ein Augenblick perfekten Glücks. Die Abwesenheit aller Sorgen und Nöte, aller Gedanken. Nur stilles, leises Glück. Doch mit einem Mal sagte ihr ein leises Knurren im Magen, dass sie schwächer werden würde, wenn sie nicht bald etwas aß. Edda versuchte den Hunger zu ignorieren – so wie man eine kleine Wolke ignoriert, die sich vor die Sonne schiebt und für die es sich nicht lohnt die Augen zu öffnen; weil man zu faul ist oder zu glücklich und weil man diesen perfekten Augenblick so in seiner Erinnerung verankern möchte, wie er eben noch war. Und weil sich nichts daran ändern soll.
    Das nagende Gefühl in ihrem Magen wurde stärker und der Wunsch zu essen verdrängte das schöne Gefühl.
    Als sich die Sonne senkte, wusste Edda, dass sie ins Tal laufen und eines von den Tieren dort unten töten würde.
    So war es immer gewesen und würde es immer sein. So hatte sie es von ihrer Mutter gelernt, an die sie sich kaum erinnerte.
    Edda hob den Kopf und nahm die Witterung auf.
    Sie merkte, dass der Wind günstig stand und die Tiere im Tal sie weder riechen noch hören konnten.
    Ruhig schnürte sie ins Tal hinab.
    Der Hase, der eben mit seinen Kollegen unbeschwerte Haken in die Luft geschlagen und den sie sich ausgesucht hatte, hob den Kopf. Er schien etwas zu ahnen und duckte sich, machte sich kleiner. Kauerte sich noch weiter zusammen, bis seine Gelenke knackten.
    Und Edda schnürte näher.
    So nah, dass der Hase sie trotz des Windes spüren konnte und sich das Fell des Tieres anlegte. Dann stand Edda vor dem Hasen und beide wussten, dass der Moment zur Flucht verstrichen war. Dass es zu spät sein würde, um zu entkommen. Bewegungslos verharrte das Tier in seiner Position und Eddas Schatten legte sich über den Hasen. Es gab keinen Zweifel, dass sie seinetwegen gekommen war.
    Das Fell des Tieres wurde stumpf vor Angst. Sein Körper begann zu zittern, als könnte es sich dadurch kleiner machen. Doch der Boden der Mulde hinderte es daran in der Erde zu verschwinden. Allein durch ihre Anwesenheit schien Edda das kleine Tier zu erdrücken. Nein! Nicht sie und ihr Schatten, sondern die Angst und der Wunsch sich noch kleiner zu machen, nahmen dem Tier die Luft. Als es kaum noch atmen konnte, hob es für einen Moment den Blick, um seinem Henker in die Augen zu schauen und dort vielleicht einen Funken Gnade zu entdecken. Doch Edda verstand die Sprache ihrer Opfer nicht. Sie empfand nicht wie dieses Tier, sie kannte weder Angst noch Resignation. Nie hätte sie sich ihrem Schicksal ergeben in der Hoffnung, Gefahr und Angst mochten vorübergehen.
    Nein, Edda hätte angegriffen und gekämpft.
    Der Hase blickte weiter in die Wolken und den blauen Himmel, als gebe es nichts anderes zu sehen und als wüsste er, dass dies das Letzte war, was er sehen würde. Edda merkte, wie die Angst des Hasen in diesem Augenblick etwas nachließ. Er hoffte, Edda würde weiterziehen. Sie blinzelte mit den Augen und schaute gemeinsam mit dem Hasen zum Himmel hinauf. Beide sahen sie die gleiche Sonne und die gleichen Wolken und für einen Augenblick waren sie vereint und spürten den Seewind, der den Geruch der Angst mit sich nahm. Hoch oben zog ein Albatros friedlich seine Kreise und verdunkelte die Sonne.
    In diesem Augenblick sprang der Hase aus der Mulde.
    Edda machte

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