ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
Moment sah es so aus, als würde tatsächlich Sternenstaub auf die Erde niederrieseln. Doch zum Klang der Töne formierte sich der Staub vibrierend um die Weltkugel wie Eisenspäne zwischen zwei Magneten. Silbern glitzerten auf einmal Linien um diesen Globus unter Edda, als wollten sie wie auf einer Karte die Längengrade angeben. Dann setzte die Melodie aus und Edda fiel. Stürzte auf die Erde zu. Immer schneller ...
Edda spürte, wie ihr Herz noch immer pochte. Der Sturz aus dem All hatte sich schrecklich echt angefühlt. Genauso wie die Nähe von Linus. Edda wusste nicht, ob sie das beruhigen konnte. Warum hatte er nicht auf ihre Frage geantwortet, ob es ihm gut geht?
„Mein Gott, Edda.“ Sie schüttelte den Kopf über sich. Es war nur ein Traum und ihr blödes Katastrophen-Gehirn malte sich mal wieder sofort aus, dass alles schrecklich ausgehen müsste. Dabei wusste sie doch, dass sie das nur tat, um dann positiv überrascht zu werden.
Erschöpft legte Edda sich zurück aufs Bett. Die Augen schmerzten, und sie spürte, dass ihre Lippen juckten. Sie wischte darüber und die orangene Farbe blieb auf ihren Fingern zurück. Aber das Jucken wurde stärker. Edda roch an sich. Dusche. Jetzt. Unbedingt.
Als Edda unter dem dünnen Strahl aus heißem Wasser stand, legte sich allmählich der Lärm in ihrem Kopf und sie suchte nach den Bruchstücken der Erinnerung an die letzten Stunden, die so schön begonnen hatten, bis sie wütend auf Gopal geworden war.
Wut und Wodka, dachte Edda, zwei üble Kobolde.
Als Edda sich in ihrer kleinen Kabine eingeschlossen hatte, ließ sie sich vom Treiben und Locken dieser Kobolde verführen. Die alten Zweifel fraßen sich in ihre Gedanken. Was hatte ihr der Ausflug in die Abenteuer der letzten Monate eigentlich gebracht? Außer Leid? Warum war sie nicht mit Marie nach Cuxhaven zurückgekehrt? Weil sie sich in Gopal verguckt hatte. Edda hatte sich über sich selbst geärgert. Und als wollte sie sich dafür bestrafen, hatte sie die nächsten doppelten Wodkas gekippt. Auf einmal war da das kleine Transistorradio, und Edda fand einen Sender, der simplen Spaß-Pop spielte. Sie wollte sich gut fühlen und begann, dazu zu tanzen. Das gefiel ihr. Tat doch gut, der Alkohol! Befreite. Was war eigentlich so schlimm daran gewesen, ein „material girl“ zu sein? So wie alle anderen. Spaß zu haben. Shoppen zu gehen. Jungs auszutesten ... In Cuxhaven war sie die Begehrte gewesen. Und jetzt? Schrecklich hässlich. Ungeschminkt und mit einer undefinierbaren Frisur, wie eine verfaulte Ananas!
Edda trank weiter.
Schminke und einen Friseur würde sie auf der Plattform nicht finden. Also brannte sie ein paar Streichhölzer ab und malte sich mit den rußigen Hölzchen Lidstriche. Sie suchte weiter und fand einen Topf mit Mennige. Benebelt vom Wodka tauchte sie den Finger hinein und machte zuerst ihre Lippen orange und dann die Fingernägel. Danach drehte sie ihre struppigen Haare zu unendlich vielen Zöpfchen und wickelte sich in ihr Laken, als wäre es ein weißes, elegantes Schlauchkleid. An ihre Ohren klemmte sie zwei Ringpullverschlüsse von Coladosen und trug sie stolz, als wären sie von Cartier. „Die Königin von Sheeba!“, jubelten die Kobolde und hielten sie für unwiderstehlich. Und ja, auch Edda gefiel sich so. Sie sah nur die Edda, die sie aus ihrer Erinnerung aus Cuxhaven kannte. Die keine „Auserwählte“ war, keine Kriegerin. Die keine Verantwortung für die Rettung der Welt hatte. Die einfach nur in den angesagten Klamotten durchs Leben krabbeln wollte und ein bisschen glücklich sein.
Das Klopfen von Schifter und Gopal, die sie zur Feier holen wollten, hatte sie ignoriert und für ein paar unbeschwerte Stunden geglaubt, dass alles wieder so sein könnte, wie noch vor einem Jahr. Jetzt erkannte Edda, wie erbärmlich und traurig der Versuch gewesen war, ihrem Schicksal zu entkommen. Auf einmal weinte sie los. Und es schüttelte sie so sehr, dass sie sich hinhocken musste und ihr Gesicht vor sich selber in ihren Händen versteckte.
Das leise trommelnde Wasser auf ihrem Körper beruhigte Edda. Es war, als spülte es die schlechten Gedanken endlich fort und brächte Edda wieder zur Besinnung. Ihre Freundschaft zu Linus und Simon war von einer so wunderbaren Tiefe ... wie hatte sie all das verdammen können, nur weil Gopal sie nicht erhört hatte? Was ihr die letzten Monate gebracht hatten, ging so weit über alles hinaus, was sich ihre alten Freunde in Cuxhaven vorstellen
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