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ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)

ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)

Titel: ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jeltsch
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versucht, per Hypnose in ihren Kopf zu gelangen, um von dort aus Hitler zu beeinflussen. Die Theorie ihres Vaters schien so einfach wie verrückt: Kurze Zeit nach seiner Begegnung mit Marie hatte Hitler begonnen, Schlachten zu verlieren. Das Schicksal des Deutschen Reiches wandte sich zur Niederlage. Seitdem war Bernikoff wie besessen von dem Gedanken, dass es ihm mit Maries Hilfe gelingen könnte, das Dritte Reich zu stürzen, bevor noch mehr Menschen sterben mussten.
    Marie schaute in Jimmys Augen, und mit einem Mal wusste sie, dass sie sich entscheiden musste. Nichts würde bleiben, wie es war.
    „Du kannst noch zurück“, sagte Jimmy. „Ich fahre dich nach Bremerhaven und dann kannst du den Zug zurück nehmen.“

    „Du bist mit ihm gegangen“, sagte Edda, als Marie in ihrer Erzählung innehielt und seit einer Weile in das Feuer des Kamins schaute. „Großmutter?“, hakte Edda nach.
    Marie schaute auf und lächelte traurig.
    „Bitte“, sagte Edda. „Erzähl weiter.“
    „Ich war so glücklich mit Jimmy“, fuhr Marie schließlich fort. „Aber ich wusste, dass mein Vater mich niemals mit ihm hätte gehen lassen.“

    Marie war zurück in ihren Erinnerungen, die sie so klar formulieren konnte, als sei alles erst gestern geschehen. Natürlich war ihr bewusst gewesen, dass ihr Vater wie immer die besseren Argumente haben würde. Und ohne Zweifel war die „große Sache“ auf seiner Seite: die Befreiung der Welt von den Nazis und von der Angst. Was konnte wichtiger sein? Eine romantische Liebe? Musik? Der Wunsch zu singen und mit Jimmy Lieder zu schreiben und ihre Musik auf der elektronischen Orgel zu verfremden und einen Klang zu schaffen, den es noch nie gegeben hatte? In einer Zeit, in der die Menschen zu Hunderttausenden starben. In Lagern ermordet wurden.
    Marie hörte förmlich Bernikoffs weiche und überzeugende Stimme, sah in sein sanftes und offenes Gesicht. Er würde Verständnis für ihre Wünsche haben, aber dann würde er seine Argumente vortragen: Sollte sie nicht froh sein, Teil einer großen Sache zu sein? Einen brillanten Vater zu haben, der auf der Seite der Guten und Gerechten kämpfte?
    Doch Marie war es in den letzten beiden Jahren nach ihrem Treffen mit Hitler immer schlechter gegangen. Ein ums andere Mal hatte Bernikoff sie unter Hypnose durch die kalten merkwürdigen Augen des Diktators in dessen Inneres geschickt. Und sie merkte, dass ein Teil von ihr anfing, sich an jenem anderen Ort aufzuhalten. Sie hatte begonnen, sich dort zu verlieren. Ein Ort, der ohne jeden Zweifel war, erfüllt mit der Energie eines einzigen Gedankens, der immer wiederholt wurde wie ein fremdartiges Mantra, das Marie nicht verstehen konnte und das so dunkel und düster schien, so hoffnungslos und brennend, dass sie sterben wollte, wenn sie es hörte. Zerstöre und werde.
    Bernikoff merkte, dass es Marie nach den Hypnosen schlechter ging, und er verlängerte die Abstände zwischen den Sitzungen. Doch als Hitler den Krieg in Russland verlor, wurde Bernikoff wie besessen. Er war der festen Ansicht, dass er durch Maries Einfluss die positiven Anteile in Hitlers Hirn vermehren, seine Zweifel stärken und den Bann brechen konnte, den Hitler über das deutsche Volk verhängt hatte. Und tatsächlich, immer kurz nach den Sitzungen mit Marie verloren Hitlers Reden an Überzeugungskraft, mehrten sich die verlorenen Schlachten, über die nur feindliche Sender nachts berichteten. Und auch in Deutschland fielen immer mehr Menschen von seinen größenwahnsinnigen Theorien ab. Marie hatte versucht, ihrem Vater zu erklären, dass es auch an anderen Dingen liegen konnte – daran, dass die Menschen gezwungen waren, immer mehr Opfer zu bringen. Dass sie Verwandte verloren. Dass die Verbrechen sich immer stärker herumsprachen. Doch Bernikoff war sich sicher, dass er und Marie die Auserwählten waren, dazu bestimmt, das Dritte Reich zu besiegen. Nächtelang blieb er auf und entwickelte seine Theorie von der Kritischen Masse, die es zu erreichen galt, um dem Wahnsinn ein Ende zu setzen – wenn nicht innerhalb der deutschen Bevölkerung, dann im Bewusstsein ihres Führers.
    Bernikoff zeichnete die Hypnosesitzungen mit Marie auf einem Tonband auf, aber er wollte nicht, dass Marie sie sich anhörte. Eines Nachts jedoch war sie zufällig aufgewacht, als sie ihre eigene Stimme aus dem Raum hörte, in dem ihr Vater seine technischen Vorrichtungen aufgestellt hatte. Sie hörte sich berichten, wie die Häuser verschwanden, die Stadt,

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