ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
sich nicht überwinden, das Haus zu betreten. Er brauchte noch Zeit, ließ den Wohnblock hinter sich. Er streunte ziellos umher und stand schließlich vor dem » Café Lombardi « . Padre werkelte hinter der Theke und ein paar verlorene Nighthawks hockten noch über ihren Gläsern, als würden sie mit ihnen sprechen. Simon kam näher und entdeckte im Hintergrund die Bedienung, die schon die Stühle hochstellte. Er musste ihr Gesicht gar nicht sehen, er erkannte schon an ihren Bewegungen, dass es seine Mutter war. Unwillkürlich wich Simon ein Stück zurück.
Obwohl er die ganze Zeit über die erste Begegnung mit seiner Mutter nachgedacht hatte, war Simon nicht darauf vorbereitet. Er wandte sich ab, lehnte an der Wand. Sollte er einfach reingehen und nach seinem Vater fragen? Sollte er all ihre Fragen über seinen Verbleib in den letzten Monaten einfach abblocken?
„Na, da bist du ja. Mumbala ist ganz schön sauer auf dich.“
Simon erschrak und sah sich um. Seine Mutter stand nicht weit von ihm und schüttete Müll in einen der Container, die in der schmalen Seitenstraße neben dem » Café Lombardi « standen. Simon hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit so einem profanen ersten Satz nach so vielen Monaten. Doch seine Mutter schüttelte nur gestresst den Kopf und klappte den Container wieder zu.
„Sieh mal selber zu, wie du wieder mit ihm klarkommst. Geld klauen ...“ Ihr Kopfschütteln ging einfach weiter. „Warum tust du so was nur?“
Simon wusste nichts zu antworten. Sie wandte sich ab und ging wieder in das Café. Zurück blieb Simon; komplett verwirrt. Dass er Mumbala das Geld und die Drogen geklaut hatte, war vor Monaten gewesen, und seine Mutter tat so, als wäre es heute Nacht passiert. Simon beschloss, auf seine Mutter zu warten.
Zehn Minuten später trat sie aus dem » Lombardi « , sah ihn stehen. Sie wickelte sich in ihren langen Schal und ging nach Hause. Simon schloss sich ihr an. Schweigend gingen sie nebeneinander her.
„Wann hat Mumbala es dir erzählt, das mit dem Geld?“, wollte Simon schließlich wissen.
„Na, eben. Gleich nachdem es passiert ist“, sagte die Mutter knapp. Sie nahm Simons Verwirrung nicht wahr. Grübelnd ging er neben ihr her. Sie war offenbar komplett in der Zeit stehen geblieben. Wie konnte das passieren?
„Du warst in Berlin ...“, versuchte es Simon noch einmal. „Mit Mumbala!“
„Was redest du für einen Quatsch?“, sagte seine Mutter mehr genervt als irritiert. „Das einzige Mal, dass ich in Berlin war, war 1984, nach meinem Abi.“ Sie sah ihn an und wartete auf eine Antwort.
„Schon gut“, sagte Simon nur.
„Nein. Nicht ‚schon gut‘. Gar nichts ist gut.“ Sie war kurz laut geworden. „Ich bin zu gut. Viel zu gut. Dein Vater raubt mir den letzten Nerv.“
Ohne Simon anzusehen, schritt sie voran, und Simon folgte ihr in den Wohnblock. Vorbei an den Arabern, die sich aber nicht mehr für Simon zu interessieren schienen. Er blieb bei ihnen stehen. Er sah den Anführer der Truppe an.
„Erinnerst du dich an mich?“
„Klar, Mutterficker“, antwortete der arabische Junge und erwartete Lacher für seine Antwort. Er bekam sie. „Hatte geglaubt, irgendeiner hätte dich ausgeknipst.“
Da hatte er schon Simons Hand an seiner Kehle.
„Warum?“, fragte Simon ganz ruhig. „Warum hast du das geglaubt? Weil ich so lange nicht da war?“
Der arabische Junge nickte und rang nach Luft. Simon ließ ihn los. Wenigstens hier schien die Zeit fortgeschritten zu sein. Und dennoch hatte sich nichts verändert. Die Kerle lungerten am Eingang herum wie früher und wie wahrscheinlich auch in alle Zukunft. Als wären sie Teil des Films über das täglich grüßende Murmeltier, dachte Simon.
„Ich spreng dich weg!“, brüllte der Araber ihm hinterher und Simon schüttelte nur den Kopf.
Da der Lift wieder einmal außer Gefecht gesetzt worden war, holte Simon seine Mutter noch vor dem fünften Stock ein. Bevor sie die Tür aufschloss, drehte sie sich zu Simon um und sagte: „Ich möchte, dass du dich bei ihm entschuldigst. Und dass du ihm das Geld zurückgibst.“
Simon folgte ihr behutsam in die Wohnung. Er sah sich um. Was hatte sich verändert? Anfangs konnte er nichts feststellen. Dann aber hörte er ein seltsames Kratzen. Während seine müde Mutter in der Küche mit Mumbala über Simon redete, folgte er dem Kratzen. Es führte ihn zu Davids Zimmer. Nach seinem Tod hatte es niemand mehr bewohnt, und Simons Mutter hatte es nicht übers Herz
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