ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
Frau, Kinder ... Und dass all das, was er in Berlin und auf dem Meer erlebt hatte, verblassen würde, sodass es ihm irgendwann wie eine Geschichte vorkam, die er mal gelesen oder im Fernsehen gesehen hatte. War das wirklich das, was er wollte? Simon spürte, wie sich Widerspruch in ihm regte. Obwohl er erst seit wenigen Stunden zurück in seinem alten Leben war, wusste Simon, dass er nicht mehr hierher passte. Aber wohin gehörte er jetzt?
Simon horchte auf.
Auf dem Flur waren Schritte zu hören. Jemand schlich auf Zehenspitzen da herum. Normalerweise nahm hier niemand so viel Rücksicht. Simon ging zur Tür, lauschte. Alles war still. Er öffnete die Tür einen kleinen Spalt und sah das Licht einer Taschenlampe, das sich in Davids Zimmer hin und her bewegte. Jemand war bei seinem Vater. Simon wollte schon zu ihm hin, da huschte Mumbala aus dem Zimmer. Unter dem Arm trug er die Tapetenrolle. Er schlich zur Wohnungstür und verschwand hinaus.
Simon streifte sich eilig seine Hose über, schlüpfte in seine Schuhe und lief, nachdem er sich überzeugt hatte, dass sein Vater schlief, hinterher.
Im Treppenhaus hörte er Mumbalas Schritte ein paar Stockwerke tiefer. So leise er konnte eilte er hinterher. Als er die Haustür laut scheppernd ins Schloss fallen hörte, sprang er die Treppenabsätze hinunter. Vorsichtig schaute er dann durch die Glastür hinaus. Er sah, wie Mumbala auf ein Fahrrad stieg und mit der Tapetenrolle davonradelte. Simon blieb nichts anderes, als hinterherzulaufen. Während Mumbala auf dem beleuchteten Fahrradweg fuhr, hielt sich Simon im Schatten. Er konnte nicht genau sehen, wohin er trat, und sein Weg war länger. Obwohl Mumbala kein Supersportler war, hatte Simon Mühe, ihm zu folgen. Als Mumbala in den Schlossgarten abbog, musste Simon den parallelen Weg durch die Baumallee nehmen und noch schneller laufen. Er starrte in die Nacht, doch plötzlich konnte er Mumbala nicht mehr sehen. Simon stand allein in dem nächtlichen Garten. Er lief zu dem Becken des Brunnens in der Mitte und lauschte, doch sein Atem war zu laut. Er hielt ihn an. Aus Richtung Osten war ein leises Quietschen zu hören. Im immer gleichen Rhythmus entfernte es sich. Das Fahrrad! Simon spurtete los. Schließlich konnte er Mumbala wieder sehen. Er hatte den Weg Richtung Hauptbahnhof eingeschlagen. Simon holte auf. Er wollte Mumbala nicht noch einmal verlieren. Er wollte wissen, was er im Schilde führte.
Schließlich hielt Mumbala auf das Intercity-Hotel zu, das wie ein grauer Lehmblock in die Nacht ragte. Er stellte das Rad ab, nahm die Rolle und verschwand in dem anonymen Gebäude. Simon schlich zum Eingang und blieb stehen. In der Lobby setzte sich Mumbala in einen der grauen Sessel und wartete. Schließlich tauchte ein Mann auf, den Simon nicht erkennen konnte. Eine Säule verdeckte ihn. Doch Simon sah, wie Mumbala ihm die Tapetenrolle übergab. Dann nahm Mumbala dafür einen dicken Umschlag entgegen – vielleicht Geldscheine? – und eilte aus dem Hotel. Simon musste sich eilig zurückziehen, um nicht gesehen zu werden. Mumbala stieg auf das Rad und fuhr davon. Als Simon wieder in die Lobby schauen konnte, war der andere Mann verschwunden. Simon schaute die Fassade hinauf, weil er hoffte, dass irgendwo das Licht angehen würde und er so herausbekommen könnte, in welchem Zimmer der Fremde wohnte. Aber es blieb alles dunkel. Da hörte er eine Stimme, die ihm bekannt vorkam. Jemand sprach offenbar auf eine Mailbox.
„... hab jetzt die nächste Lieferung und werde sie wie gewohnt übermitteln. Melden Sie sich, ob ich weiter hier auf dem Posten bleiben soll oder ob es diesmal das ist, was Sie gesucht haben.“
Der Mann stand mit der Tapetenrolle unter dem Arm vor dem Hotel und steckte sein Handy wieder in die Tasche. Er schaute eine Weile in die Nacht und kehrte dann in das Hotel zurück. Es war Geister-Bob ...
[3305]
„Es wird schon wieder hell“, sagte Marie staunend. Edda schaute zum Fenster und sah das morgendliche Dämmerlicht am Horizont. Maries Erzählung hatte bei ihr keine Müdigkeit aufkommen lassen.
„Magst du ins Bett?“, fragte Marie.
„Ich könnt nicht schlafen“, antwortete Edda. „Wie ist es ausgegangen mit Jimmy?“
Marie lächelte. Eddas Neugier freute sie, und sie empfand es als große Erleichterung, all das erzählen zu können.
„Aber vorher brauch ich noch einen Tee“, sagte sie und ging in die Küche.
„Ich mach schon“, sagte Edda, eilte ihr voraus und setzte Wasser auf.
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