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ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)

ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)

Titel: ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jeltsch
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Hotel umstellt war. Einige Mannschaftswagen standen bereit und die ersten Kids wurden abgeführt. Immer noch schienen sie keinerlei Angst zu haben.
    Ratlos blickte Marie Jimmy an.
    „Zu Jeremias?“
    „Sperrstunde.“
    „Was wollen wir machen?“
    „Wir können uns verstecken und warten, bis die Sonne aufgeht.“
    „Noch fünf oder sechs Stunden!“
    „Und zum Hafen?“
    „Wenn die uns mit den falschen Pässen erwischen, wird es richtig schwierig.“
    Zweifelnd sahen sie sich an. Die Stimmung aus dem Ballsaal würde gleich verflogen sein. Jimmy legte seinen Arm um Marie und ohne ein Wort schlichen sie an das Ufer der Alster und legten sich unter einen Baum. Jimmy küsste Marie. Dann legte er seinen Kopf auf ihre Brust. Sie spürten, wie sie müde wurden, und kuschelten sich aneinander.
    „Was hast du da gespielt?“, fragte Marie leise mit halb geschlossenen Augen.
    „Ich bin deinem Gesang gefolgt“, sagte er.
    „Und ich deiner Klarinette!“
    Sie lachten.
    „Irgendwie war es ganz was anderes als sonst.“
    „Alle waren so glücklich.“
    „Keiner hatte Angst. Auch nicht, als die Nazis kamen.“
    „Glaubst du, ohne unsere Musik ... wären nicht so viele verhaftet worden?“
    Jimmy schüttelte den Kopf. „Siehst du, das ist es, was ich meine!“ Ärgerlich sah er Marie an. „Du kannst etwas, was den Menschen die Angst nimmt, und sofort beginnst du zu zweifeln, weil es vielleicht ein Fehler ist, dass sie einen Augenblick keine Angst haben!“
    „Tut mir leid ...“, sagte Marie zerknirscht. „Ich fand es wundervoll.“
    „Trotzdem, Marie. Es ist wichtig, dass man heutzutage noch weiß, wie es sich anfühlt, keine Angst zu haben ...“
    „Aber wir haben doch auch Angst.“
    „Aber nicht, wenn wir zusammen spielen.“
    Marie lächelte. Sie legte ihr Gesicht an Jimmys Hals. Das war das Geheimnis, das ihr Vater und Jimmy in seiner Kammer entschlüsselt hatten. Bernikoff würde wissen, warum es sich so verhielt mit den Klängen. Er wusste alles über Schall und Wellen und ihre Wirkung. Über Energie und Frequenzen.
    Jimmy zog sein Jackett aus. Sie legten ihre Köpfe darauf und waren gerade eingeschlafen, als sich ein bedrohlich singender Ton über die Stadt erhob wie ein riesiger Greifvogel und Besitz von ihr und den Menschen ergriff. Erschrocken wachten Marie und Jimmy auf. Er schaute auf seine Uhr. Es war drei Minuten nach halb eins. Fliegeralarm. Mit seinen hohen orgelnden Tönen peinigte er die Stadt. Die Straßen, die Häuser. Das Heulen der unzähligen Sirenen durchdrang jede Mauer, jeden Schutz. Es war das Lied der Angst, des Todes und der Zerstörung. Das Lied, vor dem sich die Menschen am meisten fürchteten und das ihre Leben und ihre Lieben zerstörte. Jimmy und Marie sahen sich an. Sie standen auf und krochen die Böschung hinauf auf die Straße. Aus der Ferne sahen sie die Patrouille, die jeden, der sich noch auf den Straßen zeigte, in die Bunker trieb. Unter keinen Umständen durften die sie entdecken. Dann wären sie gefangen.
    Im Schatten der Häuser huschten sie weiter wie Geister. Von Dunkel zu Dunkel. Sie blickten zum Himmel. Sie hörten das Herannahen der feindlichen Flieger. Sie kamen von Norden. Briten. Die Geräusche der Fliegermotoren kamen näher.
    „Zum Hafen?“
    „Der wird als Erstes bombardiert.“
    Sie sahen Kolonnen von Bombern über die Stadt ziehen und dann rannten sie los. Ohne sich abzusprechen oder zu überlegen, rannten sie und rannten, bis sie völlig außer Atem am Hafen ankamen. Doch das Schiff war nicht mehr an seinem Platz. Jeremias stand am Kai und sah Marie und Jimmy ankommen.
    „Wo ist das verdammte Schiff?“, schrie Jimmy, außer sich. „Du Schwein, wo ist das Schiff?“
    „Lauft, lauft!“, brüllte Jeremias und deutete mit beiden Händen auf eine Brücke, die sich gleich heben würde, um dem Dampfer Durchlass zu gewähren. In der Luft näherte sich ein Bombengeschwader. Marie und Jimmy verstanden, was Jeremias meinte. Mit letzter Kraft liefen sie, wie sie noch nie gelaufen waren, und sie überholten das Schiff, das auf dem Weg in die Elbe war. Dann liefen sie auf die Brücke, kletterten auf das Geländer und warteten, bis das Schiff mit ihnen auf einer Höhe war.
    Jimmy nahm Maries Hand. Er sah sie an. Sie nickte.
    Dann sprangen sie und landeten auf einer Plane an Deck.
    Jimmy verstauchte sich den Knöchel und sein Klarinettenkasten zersplitterte auf einer Ladeluke. Doch sie waren gerettet. Bomben fielen auf den Kai. Jeremias war verschwunden. Das

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