ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
Aufgabe offengelegt. In der Hoffnung, dass sein Wissen um die Menschheit, um den Lauf der Zeit, dem er von Beginn an gefolgt war, als überzeugendes Argument genügen würde. Doch genau das Gegenteil war der Fall gewesen. Der Mensch, dem er sich offenbart hatte, wandte sich vollends von ihm ab und dem Bösen zu. Schifter hatte keine Möglichkeit mehr gefunden, ihn zu seiner wahren Bestimmung zu führen. Seitdem nahm er es mit Gelassenheit, wenn sich ein Schützling abwendete. Schifter verfügte ja über die Gewissheit, dass jeder irgendwann diesen Weg zum Höchsten, Besten finden würde. Wie auf einer Spiralbahn, die unwillkürlich in das Zentrum führt. Es war lediglich eine Frage der Zeit, und davon hatte Schifter wirklich unendlich.
Schifter folgte Simon in den Nebenraum. Dort stand der Junge am Flipper und jagte die Kugel über die Spielfläche. Eine Weile sah Schifter ihm zu. Simon würde sicher ebenso abwehrend reagieren, wenn Schifter ihm erklären würde, wer er wirklich war. Aber der Junge hat die Kapazität, das Phänomen meiner Existenz zu begreifen, dachte Schifter. Nur jetzt noch nicht.
Er musste behutsam mit Simon umgehen.
„Um die Wette?“, fragte Schifter und deutete auf den Flipper. Prüfend sah Simon ihn an und die Kugel rollte davon.
„Eine Runde“, sagte Simon schließlich, nullte die Spielstände und trat zur Seite. „Du fängst an!“
Wortlos schoss Schifter die erste Kugel ab. Simon beobachtete das Spiel dieses Mannes, der ihn, obwohl er sich dagegen sträubte, faszinierte und dem er sich so vertraut fühlte. Er spielte nicht mit Kraft. Er wartete, zielte. Sogar den Lauf der Kugel schien er im Voraus zu kennen, richtete in Erwartung schon die entsprechenden Flipper auf, um die Kugel abzufangen und erneut ins Spiel zu bringen. Er brachte es sogar fertig, die Kugel von einem auf den anderen Flipper zu legen, weil er von dort aus den besseren Schuss auf die hohen Punktzahlen bekam. Schließlich beförderte einer der Buzzer die Kugel ins Jenseits. Schifter machte Platz für Simon.
„Da kann ich ja gleich aufgeben“, sagte Simon.
„Okay ...“
„Nee!“, sagte Simon und begann sein Spiel. Selbst in so einem kleinen Moment drängelte sich das anerzogene mangelnde Selbstbewusstsein in den Vordergrund, dachte Schifter. Er bedauerte die Menschen, die einen so langen Weg gehen mussten, ehe sie erreichten, wozu sie bestimmt waren. Zum Besten.
Der Flipper schepperte und eine metallische Stimme verkündete: „Freispiel!“
Simon lachte.
Schifter war vorerst zufrieden.
„Seit dem Tag, an dem ich von der Existenz der Kritischen Masse im Camp erfahren habe, haben die Leute an mehreren Punkten der Welt an der Ausführung dieser Aktion gearbeitet“, erklärte Schifter. Simon hatte den Wettstreit knapp gewonnen und saß nun mit Schifter auf dem abgewetzten Sofa. „Vierzig von ihnen warten nun auf euch. Sie wissen von der Kritischen Masse.“
Simon seufzte leise. Mit einem Mal spürte er, wie erschöpft er war.
„Keine Sorge, wir möchten heute Nacht erst einmal einen Test durchführen“, sagte Schifter. „Wenn er erfolgreich verläuft, nehmen wir die Boote und setzen über zu den Inseln, auf denen sich die meisten von uns und unser gesamtes Material befinden. Wenn nicht, fahren wir mit Marie zurück ans Festland. Danach geht ihr, wohin ihr wollt. Frei und jederzeit in Kontakt mit uns – wenn ihr wollt. Oder auch nicht.“ Er sah Simon an. „Fair?“
„Haben wir denn überhaupt eine Wahl?“, fragte Simon ergeben. „Was für ein Test ist das? Und wozu überhaupt eine Brain-Cloud? Um Linus zu finden?“
Plötzlich lag Hoffnung in seiner Stimme.
„Das würde der Nebeneffekt sein. Aber eigentlich wollen wir herausfinden, ob wir eine Brain-Cloud, die du mit Edda und Linus erschaffst, ins weltweite Netz einspielen können. Ob also eine Realität, die durch eure Kritische Masse gebildet wird, im Netz Bestand hat und von den Menschen als ihre Realität angenommen wird.“
„Um was zu erreichen?“
„Lass es uns erst einmal versuchen. Dann reden wir über den Plan, der dahintersteht“, sagte Schifter und wiegelte damit Simons Neugier ab. „Die Idee ist noch sehr neu, aber es könnte funktionieren ...“
„Aber das schaffen wir von hier aus doch nicht. Außerdem sind wir nur zu zweit, und ich weiß ja nicht mal, ob Edda da mitmacht“, sagte Simon zweifelnd.
„Wieso sollte sie nicht?“,fragte Schifter.
„Weil wir ... weil etwas zwischen uns steht. Wir ...“ Simon
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