ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
doch in einem Krankenhaus gelandet. Sie hatten ihn doch operiert und ... Hoffnung keimte plötzlich in ihm auf. Natürlich. Dass er sich nicht bewegen konnte, das war eine Auswirkung der Operation. Mit Sicherheit hatte man ihm ein Narkosemittel verabreicht. Kein Wunder, dass er noch nichts spürte. Kein Wunder, dass er sich nicht bewegen konnte.
Langsam verebbte das wilde Pochen seines Herzens und alles um ihn herum wurde mit jeder Sekunde realer. Strahlend weiß war die Decke, an die er starrte. In seinem Blickfeld baumelte der Griff zum Hochziehen, und die Orgelmusik kam aus dem Lautsprecher, den er am Rande seines Blickfeldes erkennen konnte. Eine Übertragung des Gottesdienstes. Es war wohl Sonntag früh, schlussfolgerte Linus. Er war allein.
Die Musik und der Gesang stimmten ihn seltsam optimistisch. Er dachte wieder an Judith. Was sie wohl sagen würde, wenn er ihr erzählte, was er im letzten halben Jahr erlebt hatte? Linus registrierte, dass er keine Sekunde daran zweifelte, dass er Judith wiedersehen würde. Das machte ihn froh. Von Olsen hatte er gelernt, seinem Unterbewusstsein zu vertrauen. Wenn das so war, dann konnte er doch jetzt ein wenig weiter über seine Zukunft nachdenken. Bis die Nachwirkungen der Narkose verschwunden waren.
[3111]
Durch Gopals Behandlung war Marie auf der »Shiva« in einem normalen Geisteszustand erwacht. Sie saß bei Edda, schaute sie immer wieder an und konnte immer noch nicht fassen, wie erwachsen ihre Enkelin geworden war. Edda hatte Marie einen Tee und Essen zubereitet und ihr dabei von den letzten Monaten berichtet. Aufmerksam, aber wortlos hörte Marie zu, und Edda ließ der Großmutter Zeit, ihre Gedanken und Erinnerungen zu ordnen.
Das Letzte, an was sich Marie erinnerte, war Cuxhaven. Die Sonne schien. Sie war in ihrem kleinen Haus am Meer und hatte gerade für Edda gekocht, als es an der Haustür klingelte. Marie ging hin und da standen fremde Männer vor ihr ...
Marie musste innehalten. Die Erinnerung ließ sie zittern. Edda nahm sie in den Arm. Beruhigte sie. Sie musste das alles nicht erzählen. Jetzt war alles gut.
„Du bist in Sicherheit.“
Marie sah sie an und schüttelte den Kopf.
„Man muss sich erinnern, Kind. Man muss. Sonst wird man nie wieder los, was einem Angst macht. Sonst wird nichts gut. Gar nichts“, sagte Marie und beruhigte sich allmählich wieder.
„Greg!“, sagte sie plötzlich. „Den Anführer dieser Männer, die mich entführt haben, nannten sie Greg.“
Es dauerte wieder eine Weile, in der Edda geduldig wartete und die Hände ihrer Großmutter hielt und liebevoll streichelte. Edda schaute auf die dünne Haut von Maries Fingern. Dann schüttelte Marie den Kopf. Mehr wollte ihr nicht einfallen.
„Ich möchte zurück, Edda“, sagte Marie. „Bringst du mich in unser Haus?“
„Ja, klar“, sagte Edda und lächelte glücklich. Sie ging, um mit Schifter die Rückreise nach Cuxhaven zu besprechen. Sie traf ihn im Aufenthaltsraum, wo er mit Simon zusammensaß und schon auf Edda wartete. Schifter hatte Verständnis für Eddas Wunsch, doch er trug auch ihr seine Bitte vor, zu testen, ob sie einen Kontakt zu Linus herstellen konnten. Als Basis für einen großen Plan, an dem er und Bixby schon seit einiger Zeit arbeiteten und der nun endlich umgesetzt werden sollte. Doch dazu brauchten sie eben die Hilfe der Kritischen Masse von Edda, Simon und Linus. Edda überlegte noch, da ging Simon sie schon an.
„Was ist los? Vielleicht können wir erfahren, wie es Linus geht. Willst du das nicht wissen?“
Simon verstummte, weil er begriff, wie ungerecht sein Angriff gewesen war. Edda sah ihn nur an, als wäre er ein Fremder. Dann wandte sie sich zu Schifter.
„Klar. Das machen wir.“
Edda und Simon begaben sich an Deck der »Shiva«, setzten sich in den Windschatten des riesigen Schlotes und konzentrierten sich auf Linus. Die Hoffnung, endlich Kontakt zu ihrem Freund zu bekommen, ließ sie ihren Zwist vorerst vergessen.
[3112]
Für einen kleinen Moment kamen Linus Edda und Simon in den Sinn. Nicht, weil er an sie dachte. Auf einmal waren sie da. Ganz kurz. Hier bei ihm. Linus spürte, wie sein Herz vor Aufregung klopfte. Edda? Simon? Nein. Er täuschte sich. Linus hielt den Atem an. Wartete. Und da waren sie wieder. Nahmen Kontakt auf. Wollten sich zusammenschließen.
„Linus?“
Das war Edda!
„Ja. Ja!“ Linus meldete sich und versuchte, beherrscht zu wirken.
„Linus?“
Wieder Eddas Stimme. Nahm sie ihn nicht
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