ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
vorbei.“
„Was redest du? Meine Zeit beginnt. Jetzt! Jetzt beginnt sie. Du hast doch gesehen, wie wir in Maries Hirn eingestiegen sind. In ihre Gedanken, ihre Erinnerungen, ihre Emotionen.“
Greta redete so begeistert, dass sie anfangs gar nicht wahrnahm, wie ernst es Victor damit war, was er sagte.
„Wofür?“, fragte Victor. „Wofür all die Arbeit? Du suchst nach dem Bösen des letzten Jahrhunderts. Das ist mehr als siebzig Jahre vorbei. Das hast du immer ignoriert. Immer noch gehst du bei deiner Arbeit von nur zwei Gegensätzen aus. Gut und Böse. Aber so einfach ist es nicht.“
„Ja, ja. Globalisierung, Finanzkrise, Weltkonzerne“, wiegelte Greta ab. „Das ist angeblich alles so kompliziert und komplex, dass normale Menschen es nicht mehr verstehen, ich weiß. Glaubst du das? Dieses dumme Gerede? Gelogen ist das. Es ist nicht ‚zu kompliziert‘. Das redet man uns nur ein, damit wir nicht weiter nachfragen. In Wirklichkeit ist es ganz einfach. Es ist eine Frage der Moral.“ Sie ließ eine Pause. „Falls dir das noch etwas sagt ... Moral ... dann wirst du das verstehen.“
Victor sah sie an und staunte nur. Greta fühlte sich provoziert.
„Was?!“
„Dir ist es tatsächlich nicht klar, oder? Wie weit du dich selber mit deiner Arbeit von aller Moral entfernt hast. Wir alle haben das. Und jetzt gibt es keinen Weg zurück mehr.“ Victor fühlte sich gut in seiner Entschlossenheit. „Ich hab das akzeptiert.“
Greta antwortete nicht gleich. Es war, als checkte ihr Hirn gerade die Jahre ihrer Forschung durch. Sie begann den Kopf zu schütteln.
„Lass mich allein!“, sagte sie nur und wandte sich ab. Doch Victor rührte sich nicht von der Stelle. Ruhig hielt er den Blick von Greta, als sie wieder aufschaute. Er sammelte sich und spürte, wie Genugtuung in ihm aufkam. Das, was er Greta zu sagen hatte, hätte er ihr niemals ins Gesicht sagen können, wenn er nicht die Unterstützung der neuen Mächtigen im Konzern gehabt hätte.
„Du hast hier nichts mehr anzuordnen, Greta“, sagte Victor, und es gefiel ihm, wie ruhig er dabei blieb. „ gene-sys wurde übernommen. Es gibt jetzt einen neuen Vorstand. Und dessen Vorstellungen von einer besseren Welt passen mit deinen nicht mehr zusammen.“
„Was redest du? gene-sys kann gar nicht übernommen werden ohne meine Zustimmung. Ich bin gene-sys ! Ich habe das alles aufgebaut. Es war meine Idee!“
Victor hatte geahnt, dass sie mit diesem Argument kommen würde, und setzte nun den entscheidenden Stich.
„Du vor einem Jahr eine Menge Anteile verkauft, um deine Forschung hier weiterzufinanzieren. Erinnerst du dich? Dadurch hast du die Mehrheit verloren. Glaub mir, Greta ... es ist vorbei. Besser, du siehst das ein.“
Er übergab ihr einen Brief des neuen Vorstandes. Greta las die wenigen Zeilen, saß dann schweigend da und sah zu Victor auf. Wie war das möglich, dass ihr das Leben, dass ihr die Menschen, die sie gefördert hatte, jetzt alles nahmen, was ihr je etwas bedeutet hatte?
„Der neue Vorstand möchte sich erkenntlich zeigen“, sagte Victor. „Sie haben vorgeschlagen, dass du auf Kosten der Firma in ein Resort in Südfrankreich übersiedelst und dort mit allen Annehmlichkeiten versorgt ...“
„Nein!“ Mit großer Anstrengung richtete Greta sich auf und ging einen Schritt auf Victor zu. „Wenn dieser neue Vorstand nur eine Winzigkeit über mich wüsste, dann wäre ihm klar, dass mir so etwas nichts bedeutet. Absolut nichts!“
Wie sie da so stand auf wackeligen Beinen, wurde ihr ihre lächerliche Anstrengung bewusst. Sie wankte. Doch sie würde nicht fallen, diese Genugtuung wollte sie Victor nicht auch noch bieten.
Sie warf ihm den Brief hin.
„M.O.T. Nanos hat jetzt also die Macht über gene-sys ? Ich kann mir vorstellen, warum. Aber das ist der falsche Weg, Victor. Dieser Konzern wird nichts besser machen. Im Gegenteil. Er wird die Welt in das Verderben führen. Willst du das? Victor?!“
Victor antwortete nicht und sie schüttelte fassungslos den Kopf.
„Was ist mit dir geschehen?“
Victor versuchte, überlegen zu lächeln. Es misslang ihm. Er hatte mit Gegenwehr von Greta gerechnet und er hatte sich stark genug gefühlt zu kontern. Doch diese alte Frau hatte immer noch so viel Autorität, dass er sich miserabel fühlte. Da war noch ein Rest von dem Gefühl, dass er Greta dankbar sein müsse. Aber dieses Gefühl konnte er unterdrücken. Das Leben war nun mal so. Die Alten treten ab und die Jüngeren kommen und
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