ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
ihr wieder warm. Sie warf einen Blick in den alten Spiegel und blieb davor stehen. Die kurzen Haare, die blasse Haut, die Wangenknochen, die sich jetzt so stark abzeichneten – ihr letzter Babyspeck war dahingeschmolzen. Sie war schlank und voller Energie und voller Lust, zu leben und zu lieben und geliebt zu werden. Sie und Gopal waren zärtlich miteinander, aber irgendwie waren diese Zärtlichkeiten anders. Sie hatten noch nicht zu dem geführt, was Edda sich wünschte. Das wurde ihr in diesem Moment klar. Ja. Sie wünschte sich, mit Gopal zu schlafen ...
Sie öffnete die Tür und ging über die Galerie durch den leeren Speisesaal mit Tischen und Bänken, wo Gopal ihr mit zwei Kisten Gemüse aus dem Kühlraum entgegenkam.
„Adriano ist krank“, sagte er. Adriano war der andere Koch. „Ist jetzt dein Job!“
„Eben bei der Versammlung war er aber noch ganz munter“, sagte Edda. „Außerdem kann ich nicht kochen.“
„Zeigen wir dir!“
„Ich weiß nicht ... Frauen am Herd?“, sagte Carlo, der dritte Koch, mit provokanter Stimme und ging mit einem Beil daran, auf sein Gemüse zu hacken.
Edda lachte kopfschüttelnd, dann half sie den beiden, Lasagne zu backen und Nachtisch zu machen. Als Carlo für einen Augenblick im Kühlraum verschwand und Edda die Lasagne in den Ofen geschoben hatte, wandte Gopal sich ihr zu. Er blickte ihr in die Augen und lächelte.
„Hast du nachher Zeit für mich?“
Edda nickte.
Als sie die Arbeit in der Küche beendet hatten, gingen sie über die P1 zurück in die Wohneinheiten der stählernen Insel, die sich auch auf der mittleren Ebene befanden. Die Sonne kam heraus und einen Augenblick blieben sie stehen und schauten hinaus auf das weite Meer. Edda hatte das Gefühl, dass er sie begehrte, und sie fragte sich, wann sie endlich miteinander schlafen würden.
„Ich geh kurz duschen“, sagte Edda plötzlich.
Sie ging zu ihrem Zimmer und verschwand in der Dusche. Sie drehte den Hahn auf und schloss die Augen. Das Wasser auf der Plattform war immer leicht salzig. Nur zum Haarewaschen und Zähneputzen nahmen sie Regenwasser. Sie stellte sich unter das heiße Wasser und wusch den Küchengeruch ab. Dann trocknete sie sich ab und zog sich an. Mit dem Handtuch wischte sie ein Stück des beschlagenen Spiegels frei und schaute sich an. Sie verließ die Dusche und ging den Gang hinunter zu Gopals Zimmer und trat ohne anzuklopfen ein.
Der Raum war dunkel bis auf zwei Kerzen.
„Zieh dich aus und leg dich hin“, sagte er mit ruhiger Stimme.
Eddas Augen brauchten einen Moment, um sich an die Dunkelheit im Raum zu gewöhnen. Dann erst sah sie Gopal. Sein Oberkörper war nackt. Edda zögerte kurz, dann legte sie ihren Trainingsanzug ab und zog sich aus.
„Leg dich auf den Bauch“, sagte er.
Edda tat, was Gopal ihr gesagt hatte. Sie platzierte den Kopf auf ihren Armen und schloss die Augen. Gopal zog ihr eine dünne Decke über den Rücken.
„Ich möchte dich massieren, wenn du nichts dagegen hast.“
Sie schüttelte leicht den Kopf und spürte, wie seine Hände ihren Rücken und ihre Schultern berührten. Leicht und sanft die Arme herunterfuhren, ihre Handinnenflächen streiften, ihre Finger, schließlich ihre Beine. Es war, als erinnere sie sich daran, dass sie überhaupt einen Körper besaß, der noch zu etwas anderem da war als zum Treppensteigen, arbeiten und darauf zu warten, dass sie endlich Sex haben würde. Mit ihm. Gopal. Sie spürte, wie sie erregt wurde.
Sie wollte sich umdrehen, um ihn anzuschauen, doch mit sanftem Druck hielt er sie in ihrer Position und massierte sie weiter. Seine Berührungen – so zärtlich und sanft sie schienen – ließen Edda müde werden. Bilder erschienen vor ihren Augen, und sie spürte, wie sie wegdriftete, wie ihre Gedanken zu Formen und Farben morphten. Als Edda sie genauer betrachtete, wurden es Tänze. Rituale.
Edda erschrak, bekam Angst vor den Untiefen ihres Kopfes – doch die tiefschwarzen Gedanken, die sie so fürchtete, waren verschwunden. Wo waren sie geblieben? Es schien, als habe sie lange keine dunklen Gedanken mehr gehabt.
Sie dachte daran, wie sie als Kind in Indien gelebt hatte, klein und wehrlos. Sie dachte an die langen Gottesdienste, das Meditieren, damit sie sich auf „das Innen“ konzentrierte. War Gopal „Außen“? Und was war das, was mit Edda in seiner Gegenwart geschah? Edda öffnete die Augen, blinzelte, als müsse sie sich vergewissern, sah die beiden Kerzen flackern und spürte, wie Gopals Hände
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