Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abaton

Abaton

Titel: Abaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Jeltsch
Vom Netzwerk:
Regeln im Leben“, sagte Rob fröhlich.
    „Die nehmen wir gern hin“, antwortete die Familie.
    „Denn Regeln machen ...“
    „... nun mal Sinn“, verklang das Echo der „Flanders“ in Linus’ Ohren.
    Automatisch wanderten Linus’ Gedanken zu seinen Eltern. Sie hatten sich wenig um ihn gekümmert. Mehr noch, sie hatten ihn oftmals gar nicht wahrgenommen. Doch in Anbetracht der protestantischen Idylle vor ihm sehnte er sich mehr nach seinen Eltern als je zuvor. Zu einer solchen Scheinheiligkeit wären sie niemals fähig gewesen. Und bei aller Ichbezogenheit hatten sie ihm seine Freiheit gelassen. Außerdem waren sie nun mal seine Eltern, er hatte keine anderen. Er würde sie finden. Das schwor er sich. Linus schloss die Augen, um ihr Bild wieder aufzurufen. Stattdessen tauchte jedoch das Bild von Edda auf.
    Linus überlegte, ob er Edda anrufen und sich entschuldigen sollte ...
    Sie waren im Streit auseinandergegangen.
    Die Busse nach Nord-, West- und Süddeutschland warteten. Auch auf Edda, Linus und Simon.
    Beim Sammelplatz hockten die beiden Jungs auf den gepackten Rucksäcken und schwiegen. Genauso wie Edda, die noch in ihrem Zelt alles in ihren Rollkoffer stopfte und durch den offenen Eingang zu den beiden Freunden schaute. Jeder von ihnen hoffte, dass irgendwas passieren möge, dass einer von ihnen eine Idee hätte, wie man den Abschied verhindern könnte. Sie spürten alle drei, wie falsch es sich anfühlte; sich jetzt zu trennen. Nach diesen verrückten, fantastischen Tagen. Aber keiner sprach es aus. Da war die Furcht, dass die anderen das vielleicht ganz anders sahen. Dass sie lachen würden, wenn man so sentimentales Zeug labern würde. Fast war es in dieser Freundschaft wie in der Liebe. Wer zuerst „Ich liebe dich“ sagte, hatte der nicht schon verloren?
    Edda steckte sich die Zigarette an, die sie sich am Bahnsteig erschnorrt und aufgehoben hatte. Sie sog den Rauch ein, aber er schmeckte nicht. Sie probierte noch ein paar Züge. Es wurde nicht besser und sie schnippte die Kippe aus dem Zelt und ging zu den Jungs.
    „Das war’s dann wohl ...“, sagte sie.
    Linus und Simon sahen sich an und blickten dann zu Edda. Sie nickten, weil sie Eddas Satz so nahmen, wie sie ihn gesagt hatte. Sie hörten nicht die Bitte um ein „Nein“. So zementierte sich bei allen dreien das Gefühl, dass sie mit ihrer Sehnsucht allein standen. So war das nun mal. Das war es wohl, was die Erwachsenen meinten, wenn sie bedeutungsvoll sagten, dass das Leben nun mal so sei, wie es ist. Dass es kein Ponyhof sei, kein Wunschkonzert ... Abgedroschene Sätze, die kein Sohn, keine Tochter hören will, wenn ihre Herzen nach etwas ganz anderem verlangen. Wenn die Sehnsucht nach dem Besonderen, dem unerklärlich Großen pocht. Nach dem echten Leben. Nicht mehr und nicht weniger. Das Leben, das nicht so ist, wie das, von dem die Eltern reden. Sondern dieses eine, dieses geheimnisvolle Abenteuer, von dem man in diesem Alter nur eine wundervolle Ahnung hat. Dieser Berg an Erfahrungen, an Liebe, an Leidenschaft, der noch vor ihnen lag. Der gestürmt werden wollte. Doch bei jedem Versuch, sich auf den Weg zu machen, war da auch der Gedanken an die Vernunft. Eingeimpft wie ein Virus. Oder vielleicht auch schon vererbt wie ein Gen. Von den Erwachsenen. Von den Eltern. Als wollten die verhindern, dass ihre Kinder ihren eigenen Weg gingen. Als wollten sie unbedingt verhindern, dass ihre Kinder ihnen vorlebten, dass Träume sich doch erfüllen können. Die Erwachsenen hatten aufgegeben. Deshalb retteten sie sich in die „Vernunft“.
    „Scheiße!“ Wenn Linus recht überlegte, dann war es bei den Erwachsenen mit der Vernunft doch eh nicht so weit her. Ihre Träume hatten sie bei aller Vernunft immer noch. Und wenn sie davon redeten, begannen sie immer mit einem Wort, das eigentlich verboten werden müsste, dachte Linus. Das Wort »wenn«. Wenn ich nicht Geld verdienen müsste, dann würde ich die Welt umsegeln. Wenn ich nicht meinen Job hätte, hätte ich weiter Musik gemacht. Wenn ich Zeit hätte ... Ja. Wenn ich Zeit für dich hätte ... wie oft hatte er das von seinen Eltern gehört. Und so spielte sich ihr Familienleben hauptsächlich im Konjunktiv ab.
    Man müsste verbieten, das »wenn« zu leben, dachte Linus. Ein Wenn-Verbot auf ganzer Linie. Er schaute zu den anderen Kindern, die brav vom Sammelplatz zu den Bussen trotteten.
    „Wie die Lemminge“, meinte Linus. Simon und Edda nickten einig. Und schwiegen weiter.
    „Ja, dann

Weitere Kostenlose Bücher