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Abaton

Abaton

Titel: Abaton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Jeltsch
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erfüllen.
    Edda schüttelte nur den Kopf. Nein. Sie war auch nichts Besonderes. Und sie wollte es eigentlich auch gar nicht sein. „Aber am Bahnsteig; Edda  ...“, sagte Linus und kam zu ihr. „Das war doch was Besonderes. Wir haben uns verständigt, ohne zu reden. Das war doch irre ... war doch nicht normal!“
    Edda aber kämpfte gerade um genau diese Normalität. Sie spürte, wie in ihr dieses Gefühl wieder aufkam. Das sie lockte, sich über alle anderen zu erheben. Es war keine glückliche Zeit in dieser Sekte, als sie im Gefühl der Überlegenheit erzogen wurde und leben musste. Nein. Edda konnte Linus nicht zustimmen. Sie gab ihm ein Taschentuch, um das Blut abzuwischen, und umarmte ihn kurz.
    „Mach’s gut ...“
    Dann marschierte sie zum Bus und die Rollen ihres Koffers klapperten über den holprigen Boden.
    „Feiglinge!“, schrie Linus ihr hinterher und er hasste sich dafür. Weil er alles andere wollte, als Edda zu beschimpfen. Aber es brach einfach aus ihm hervor.
    „Scheiß-Feiglinge. Blöde ... verf...“ Er suchte hilflos nach den Worten, die Edda und Simon {am} meisten verletzen würden. „Verschissene Feiglinge! Ihr beide seid echt das Letzte. Zum Kotzen! Ich brauch euch nich’! Verpisst euch nur!“
    Simon konnte ihn sicher schon nicht mehr hören. Aber Edda. Sie drehte sich noch einmal um, sah ihn nur traurig an, und erst als er verstummt war, ging sie weiter auf ihrem Weg zu dem Bus, der Richtung Hamburg fuhr.
    Erschöpft stand Linus da. Wie sollte er den beiden jetzt noch hinterhertrotten? Wie konnte er Edda jemals wieder in die Augen sehen?
    „He, Kumpel ... hier bist du ...“
    Linus zuckte zusammen. Er kannte diese Stimme. Die so falsch auf Freund machte. Es war die Stimme seines Pflegevaters. Linus musste sich gar nicht umdrehen, um zu wissen, dass er wieder sein Pastorenlächeln aufgesetzt hatte. Das nur so vor Verständnis und Nächstenliebe strotzte. Linus hatte immer geglaubt, Ned Flanders aus den Simpsons sei reine Erfindung, aber die Macher der Serie schienen seinen Pflegevater zu kennen.
    „Überraschung! Rob ist hier!“ Rob ... allein die Abkürzung hasste Linus. Er drehte sich um. Rob war mitsamt der Familie gekommen, um ihn abzuholen.
    „Das war nicht ...“ „Abgemacht“ wollte Linus sagen. Aber sein Pflegevater unterbrach ihn.
    „Und wie das nötig war. Wie es sich für eine Familie eben gehört“, sagte er. Die ganze Pastoren-Bagage stand vor Linus, lächelte und alle nahmen ihn nun in den Arm. Alle vier. Die Mutter, der Vater, die kleine Katharina und ihr Zwillingsbruder Martin.
    Sie hatten einen kleinen Abstecher auf die Wartburg und nach Wittenberg gemacht. Den Spuren des Gründers ihres Glaubens folgend. Linus stand in der Mitte der vier Dauer-Lächler und verzog das Gesicht.
    „War’s cool?“, fragte Pflegemutter Helga und falscher konnte das Wort „cool“ nie aus einem Mund gekommen sein, als aus diesem, der jeden zweiten {Sonntag} eine neue frohe Botschaft von der Kanzel verkündete. Helga teilte sich die eine Pastorenstelle mit ihrem Mann. Mit Rob.
    „Schon okay“, sagte Linus und schulterte seinen Rucksack.
    „Nur okay?“
    „Nein, Rob, es war spektakulär!“ Ernst sah ihm Linus dabei in die Augen und ging dann voran zu dem Familienvan.
    „Hab ich’s mir gedacht, oder hab ich’s mir gedacht?“, strahlte Rob seine Helga an. Dieser Mensch war einfach vollkommen immun gegen jedwede Ironie.
    [ 1203 ]
    Jetzt, am Kamener Kreuz, hatte Linus beschlossen, die anstehenden Herbstferien zu nutzen, um einen zweiten Anlauf der Suche nach seinen Eltern zu starten.
    Weder ihm und schon gar nicht seinem Pflegevater schien aufzufallen, dass ihnen seit Berlin ein Wagen folgte.
    [ 1204 ]
    Der Zug fuhr in den kleinen Bahnhof von Cuxhaven ein. Endhaltestelle. Von hier aus ging es nur mit dem Auto, dem Rad oder zu Fuß weiter in das flache, sandige Land hinter den Deichen, die die Nordsee im Winter davon abhielten, die Felder und Wälder zu fluten.
    Schon von Weitem erkannte Edda die Silhouette ihrer Großmutter Marie, die auf dem Bahnsteig stand und winkte. Sie freute sich über den vertrauten Anblick der alten Frau und ihres warmen Gesichts, das einmal so schön gewesen war und das immer noch von Innen zu leuchten schien. Edda rannte auf Marie zu und umarmte sie, wie sie es als kleines Mädchen getan hatte. Und während sie durch den Bahnhof auf Maries alten Mercedes zugingen, schmiegte sich Edda an sie.
    „Irgendwas ist passiert“, sagte Marie und

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