Abbau Ost
Beziehungen eingestellt. Zwischen 1963 und
1989 erlangten insgesamt 31 755 Häftlinge die Freiheit.«
Diese wirtschaftliche Bilanz aus Zeiten des Kalten Krieges zog Peter Gey nicht von ungefähr, denn in Südkorea stellt man sich
die Frage, ob unkontrollierte Wiedervereinigungsszenarien verhindert werden könnten, indem der südliche, wirtschaftlich prosperierende
Landesteil den Norden unterstützt und dadurch dessen Wirtschaft wenigstens auf niedrigem Niveau stabilisiert. Mitte der 90er
Jahre war die nordkoreanische Wirtschaft völlig zusammengebrochen, die Bevölkerung konnte nicht mit dem Notwendigsten versorgt
werden. Schätzungen besagen, dass allein Mitte der 90er Jahre in Nordkorea zwischen 220 000 und 3,5 Millionen Menschen verhungert
sind. Und so schloss der Vortrag des deutschen Wissenschaftlers mit der rhetorischen Frage: »Warum haben die Transferzahlungen
der Bundesrepublik Deutschland an den Staatshaushalt der DDR den Niedergang der DDR-Wirtschaft nicht verhindert? Selbst noch
beträchtlich höhere Mittelzuflüsse in die DDR hätten die fortschreitende Erosion der dortigen Wirtschaft nicht verhindern
können, weil die Unwirtschaftlichkeiten einer sozialistischen Planwirtschaft eine Größenordnung haben, die von Transferzahlungen
nicht annähernd erreicht werden kann. Gleichzeitig scheiterten alle Versuche, das System der Planung und Lenkung des Wirtschaftsgeschehens
leistungsfähiger zu machen. Das ›Sowjetische Modell‹ widerstand in der DDR und in allen übrigen Ländern, in denen es eingeführt
worden war, allen Versuchen, es ernsthaft zu reformieren.«
|223| Diese und noch andere deutsch-deutsche Preziosen hatte Peter Gey am 10. Oktober 2003 in Seoul zum Vortrag gebracht. Es scheint
fast, als habe er dort, so fern der Heimat, Ansichten aus der Zeit des Kalten Krieges konserviert. Die Konferenzteilnehmer
haben interessiert zugehört. Ahnten sie möglicherweise, dass die Darlegungen des deutschen Gastredners eine recht einseitige
Sichtweise wiedergaben? Erschien ihnen die westdeutsche Gönnerpose ein wenig aufgesetzt? Folgerten sie für sich selbst, dass
allenfalls die Westdeutschen von der Teilung profitieren konnten und der kleinen, historisch benachteiligten DDR die Konditionen
diktierten? In Asien ist man traditionell sehr höflich. Ein Gast wird niemals mit unangenehmen Fragen bedrängt oder gar öffentlich
bloß gestellt. Äußerlich ist nicht zu erkennen, was sich hinter einem freundlichen Lächeln verbirgt.
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Das Züricher Modell
Honecker unternahm noch einen letzten Versuch 1987 während
seines Besuches in der Bundesrepublik. In seiner Rede in Neunkirchen
, im Saarland, schlug er vor, die deutsch-deutsche Grenze so zu
gestalten wie die Oder-Neiße-Grenze. Das war der Kerngedanke des
Geheimprojektes »Länderspiel«, zu dem ich in Zürich Vorgespräche
mit Thomas Gundelach, Sekretär des damaligen Bundestagspräsidenten
Philip Jenninger, sowie mit dem Bankier Holger Bahl,
einem Beauftragten des Bundeskanzleramtes, führte. Honecker bestand
damals nicht einmal mehr auf den Geraer Forderungen wie
die Anerkennung der Staatsbürgerschaft der DDR.
Jürgen Nitz, zu DDR-Zeiten Mitarbeiter im Institut für Internationale Politik und Wirtschaft, in einem Interview der Tageszeitung
›Neues Deutschland‹ am 5. Oktober 1999
Nach dem Erscheinen des Enthüllungsbuches von Holger Bahl ›Als Banker zwischen Ost und West. Zürich als Drehscheibe für deutsch-deutsche
Geschäfte‹, Zürich 2002, titelte die ›Berliner Zeitung‹ (BZ): »Honecker wollte die Wiedervereinigung«. Mit Holger Bahl meldete
sich ein Bankier zu Wort, der den Osten zeitlebens |224| aus westdeutscher Perspektive betrachtet hatte, der als ideologisch unbelastet gelten musste und keineswegs unter Rechtfertigungszwang
stand. Eher zufällig hatte ihn sein beruflicher Werdegang von Wuppertal nach Ostberlin und weiter nach Zürich geführt. Nach
einer Lehre bei der Deutschen Bank in Wuppertal und ersten Erfahrungen im deutsch-deutschen Kreditgeschäft kam er am 16. September
1970 nach Zürich. Als junger Mann übernahm er die Bank für Kredit und Außenhandel, eine Tochtergesellschaft der Württembergischen
Landesbank und der Landesbank Rheinland-Pfalz. In Zürich lernte er seine Frau kennen (»Seit Anfang Januar hatte ich eine schicke
Schweizer Sekretärin, Frl. Yvette Zurbuchen …«), und auf seinen häufigen Reisen nach Leipzig und Ostberlin (»Das Essen war,
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