Abbau Ost
Erinnerungen‹, Reinbek 2000
Franz Josef Strauß gebührt ein eigenes Kapitel. Der Milliardenkredit, den er der DDR verschaffte, strahlt am hellsten in einer
an Glanzlichtern gewiss nicht armen Politikerkarriere. Bis heute wird darüber gerätselt, wo seine Motive lagen. Warum hatte
sich der Mann nur derart verbogen? Warum zeigte ausgerechnet Franz Josef Strauß, der das SED-Regime am lautesten attackiert
hatte, an seinem Fortbestand das allergrößte Interesse? Warum setzte er sogar sein Ansehen aufs Spiel, damit die Bundesregierung
für einen Kredit bürgte, der den Niedergang der DDR noch um einige Jahre hinauszögerte? Der CSU-Politiker verlor dabei nicht
nur an Glaubwürdigkeit, der Milliardendeal spaltete die Christlich-Soziale Union. Franz Handlos, damals in Bayern einer der
populärsten Politiker, verließ die CSU und gründete am 26. November 1983 »Die Republikaner«. Strauß selbst bekam auf dem Parteitag
im Juli 1983 mit einem Wahlergebnis von immerhin noch 77 Prozent den niedrigsten Anteil an Ja-Stimmen, seit er im Jahre 1961
erstmals zum CSU-Vorsitzenden gewählt worden war.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Franz Josef Strauß zu den schärfsten Gegnern der deutsch-deutschen Entspannungspolitik gehört.
Seine Kritik ging so weit, dass er gegen den im Dezember |229| 1972 unterzeichneten Grundlagenvertrag, in dem die Bundesrepublik die DDR weitgehend als souveränen deutschen Staat anerkannte,
eine Verfassungsbeschwerde durchsetzte. Strauß war geradezu berühmt für seine Verbalattacken, sein kompromissloser Stand in
der Deutschlandpolitik war sozusagen das Herzstück seiner Rhetorik. Er inszenierte sich als unerbittlicher Gegner des realsozialistischen
Herrschaftssystems und gründete auf so schlichte Formeln wie »Sozialismus oder Freiheit« seine Identität als Politiker. Noch
am 10. April 1983, praktisch unmittelbar vor seinem Engagement für die Kreditvergabe, erreichten seine deutschlandpolitischen
Ausfälle einen Höhepunkt. Anlass war ein Zwischenfall im innerdeutschen Grenzverkehr. Ein Bundesbürger hatte bei der Einreise
in die DDR die Transitreisebestimmungen verletzt und wurde festgenommen. Beim anschließenden Verhör erlitt er einen Herzinfarkt
und starb an den Folgen. Bundeskanzler Helmut Kohl und Außenminister Dietrich Genscher wollten nicht viel Aufhebens von dem
Fall machen, doch der bayerische Koalitionspartner sah das anders. Die CSU-Postille ›Bayernkurier‹ wetterte gegen jeden, der
sich mit dieser »Herzinfarkt-Entschuldigung« abspeisen ließ. Der Fall wurde so dargestellt, als sei der Betroffene von DDR-Grenzern
regelrecht totgeschlagen worden, Strauß schwadronierte etwas von einem »Mordfall«.
Nur acht Wochen später vollzog derselbe Strauß eine vollständige Wende in seiner Ostpolitik und vermittelte dem kurz vor dem
Offenbarungseid stehenden DDR-Regime einen Kredit über eine Milliarde D-Mark. Parallel zu den Verhandlungen um das »Züricher
Modell« traf sich Franz Josef Strauß mit dem DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski und besprach die Modalitäten
der Kreditvergabe. Am 1. Juli 1983 wurde der Vertrag in der Bayerischen Landesbank in München unterzeichnet. Aufgrund eines
Kabinettsbeschlusses vom 29. Juni verbürgte die Bundesregierung die Rückzahlung der Kreditsumme in voller Höhe. Franz Josef
Strauß schrieb dazu in ›Die Erinnerungen‹, Berlin 1989: »Bei meinem Entschluss, den Kreditwunsch zu unterstützen, ließ ich
mich auch von den Erfahrungen der jüngsten Geschichte leiten. 1953, 1956, 1968, 1980/81 … Wegen der damit verbundenen |230| Gefahr lebensgefährlicher, kriegerischer Verwicklungen konnten und können Volkserhebungen in den Staaten des Warschauer Paktes
nicht unterstützt werden. Es hat deshalb keinen Sinn, die Notsituation dort zu verschärfen, dass Belastungen für die Menschen
unerträglich werden und es zur Explosion kommt.« Kurz nach dem Kreditgeschäft, vom 17. bis 27. Juli 1983, begab sich Strauß
auf eine »private Rundreise« durch die ČSSR, Polen und die DDR. In Polen bekundete er Verständnis für General Wojciech Jaruzelski.
Der hatte nach Zahlungsunfähigkeit, wirtschaftlichen Problemen, nach Arbeiterunruhen und Protesten der Solidarność das Kriegsrecht
verhängt und ein Verbot für die unabhängige Gewerkschaftsbewegung erlassen. Die Ostpolitik des CSU-Barden zielte auf den Erhalt
des Status quo und möglichst stabile Verhältnisse in den
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