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Abbau Ost

Titel: Abbau Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Baale
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osteuropäischen Staaten ging gegen null. Der DDR
     blieben nur noch wenige Monate, dann drohte ein ernsthaftes Liquiditätsproblem, dann konnte sie, genau wie Polen, ihre Kredite
     nicht mehr bedienen. »Fest steht«, schrieb Holger Bahl, »dass Bonn über die verheerende Liquiditätslage der DDR Bescheid wusste,
     zu groß war das Netz von BND-Agenten in der DDR-Wirtschaft, nicht zuletzt bei Schalck und der Deutschen Außenhandelsbank AG
     der DDR (DABA), als dass dies verborgen geblieben wäre.« In dieser Situation hatte Holger Bahl gemeinsam mit DDR-Unterhändlern
     das »Züricher Modell« entworfen, in seinem Kern die Gründung einer deutsch-deutschen Bank in Zürich, sodass die DDR sozusagen
     über die westdeutsche Bürgschaft Zugang zu den internationalen Devisenmärkten erhalten hätte. Das Geschäft sollte an einen
     Milliardenkredit für die DDR gekoppelt werden, und, damit sich das Ganze im Bundestag verkaufen ließ, mit der Zutat »Reiseerleichterungen
     gegen Kreditvergabe« offeriert werden. Die Verhandlungen waren schon recht weit fortgeschritten, und auch die sowjetischen
     Genossen hatten bereits zugestimmt, da betrat der bayerische CSU-Politiker Franz Josef Strauß die Bühne, demonstrierte eine
     beeindruckende 180-Grad-Wende in seiner Ostpolitik und machte der DDR ein eigenes Angebot. »Der DDR«, resümierte Holger Bahl,
     »lagen somit zwei bundesdeutsche Kreditofferten auf dem Tisch, und sie agierte professionell und, im Gegensatz zu Bonn, unter
     Koordination der Führung. Honecker beschloss im engeren Kreis mit Mielke und Mittag, zunächst zweigleisig |227| zu fahren, bis feststehe, ob Strauß sich mit seinem Milliardenkredit bei Kohl wirklich durchsetzen könne.«
    Strauß setzte sich durch. Und schon wenig später bekam die DDR noch einen zweiten Kredit. Doch das Züricher Modell, eine deutsch-deutsche
     Bank als erste Stufe einer wirtschaftlichen Annäherung und einer Konföderation, hatte sich damit erledigt. Die DDR war jetzt
     wieder liquide, hatte aber keines ihrer wirtschaftlichen Probleme gelöst. Und noch etwas war geschehen: Mit den beiden Milliardenkrediten
     und den Bürgschaften der Bundesregierung hatte Westdeutschland der DDR einen Persilschein ausgestellt. Wenn die Bundesrepublik
     und ihre öffentlich-rechtlichen Geldhäuser das Kreditrisiko für kalkulierbar hielten, dann konnten auch andere Banken wieder
     in das Geschäft einsteigen. »Noch 1987 und ’88 standen alle großen Banken bei der DDR Schlange, um ihre Kredite loszuwerden.
     Die Leipziger Messen glichen Wallfahrten bundesdeutscher Politiker jeder Couleur, die, einer ungeschriebenen Kleiderordnung
     folgend, erst die Messe, dann Honecker in Ostberlin besuchten; die Ministerpräsidenten der Bundesländer gaben sich bei Honecker
     die Klinke in die Hand.«
    In dieser Atmosphäre wurde Ende 1985 ein letztes Projekt deutsch-deutscher Annäherung geboren. »Grundlagen des ›Länderspiels‹,
     wie das Projekt der Konföderation unter uns genannt wurde, war die Anerkennung der Staatsbürgerschaft der DDR einerseits,
     der ungehinderte, freie Reiseverkehr für alle DDR-Bürger in die Bundesrepublik andererseits, begleitet von einem umfangreichen
     Wirtschaftsprogramm von Bonn und Ostberlin. Der Kreis der Eingeweihten auf beiden Seiten war klein.« Holger Bahl sah in dem
     Projekt »eine frühzeitige Chance zur schrittweisen Öffnung der Mauer und einer schon in 1986/87 möglichen deutschen Konföderation«,
     und wunderte sich, »dass die damals beteiligten westdeutschen Politiker heute auffallend zu dem Thema schweigen, kaum jemand
     sagt etwas zu den Versäumnissen«. Doch für das Projekt »Länderspiel« hätte es einer Grundgesetzänderung bedurft. Eine Zweidrittelmehrheit
     für eine zweite deutsche Staatsbürgerschaft war aber im Bundestag Mitte der 80er Jahre völlig undenkbar. Deutsche Teilung
     und Wirtschaftsaufschwung |228| hatten die Altbundesbürger durch ihre besten Jahre begleitet, sie waren die zwei Seiten des westdeutschen Goldstücks. Das
     wollte niemand gegen eine so unsichere Währung wie eine deutsche Konföderation eintauschen. An etwas so Kompliziertem, politisch
     nur schwer Vermittelbarem wie einer deutschen Konföderation hatte die Bundesregierung kein Interesse.

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Der Vogel Strauß
    Der Gang der Geschichte konnte durch den Milliardenkredit nicht
geändert, der Untergang der DDR nicht verhindert, nur aufgehalten
werden.
     
    Alexander Schalck-Golodkowski, ›Deutsch-deutsche

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