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Abbau Ost

Titel: Abbau Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Baale
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ins Land gegangen ist, erhebt sich eine
     Legende aus den Nebeln der renaturierten mitteldeutschen Tiefebene. Der Politik- und Verwaltungswissenschaftler Wolfgang Seibel
     von der Universität Konstanz hat bereits im Jahr 2000, als das Privatisierungsgeschäft noch auf Hochtouren lief, die Legendenbildung
     angeregt. In seinem Aufsatz ›Die Treuhand als Winkelried‹, erschienen in ›Der Bürger im Staat‹, Heft 4/2000, herausgegeben
     von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, bemüht Wolfgang Seibel die große Schweizer Legende. Dabei
     pflegt er einen ausgesprochen laxen Umgang mit historischen Metaphern, denn Winkelried, so will es die Überlieferung, hatte
     sich aus eigenem Entschluss den Pfeilen des Feindes ausgesetzt. Dagegen begab sich die Treuhandanstalt keinesfalls freiwillig
     in die Schusslinie, die Mitarbeiter wurden vielmehr von den Ministerialbeamten als Kanonenfutter in einen Privatisierungskrieg
     geschickt, den sie niemals gewinnen konnten. »In der breiten deutschen Öffentlichkeit schlechthin«, schreibt der Wissenschaftler,
     »wurde die ›Treuhand‹ zum zentralen Ort der Zurechnung der Verantwortung für |131| die negativen sozialen Folgen des wirtschaftlichen Strukturwandels in den neuen Bundesländern. Obwohl die Treuhandanstalt
     die strategischen Rahmenbedingungen ihres Handelns zu keinem Zeitpunkt hatte beeinflussen können, zog sie die Pfeile der Kritik
     (und auch weitergehende aggressive Affekte) auf sich, die ansonsten die politisch verantwortliche Bundesregierung in Bonn
     hätte treffen müssen.« Aber statt nun die politisch Verantwortlichen und deren Fehlentscheidungen beim Namen zu nennen, rechtfertigt
     der Politikwissenschaftler die Strategie der Treuhandanstalt mit gänzlich entrückten Gedankenspielen. »Die ›Treuhand‹, die
     offenbar – ›autonom‹, ›selbstherrlich‹ oder wie auch immer – schaltete und waltete wie vordem die DDR-Wirtschaftsfunktionäre,
     passte für die ostdeutsche Bevölkerung nahezu perfekt in eingeübte Wahrnehmungsmuster, wenn es um die Zurechnung politischer
     Verantwortung für ökonomische Sachverhalte ging.«
    Ehemaligen DDR-Bürgern kommen angesichts solcher Thesen grundsätzliche Zweifel am akademischen Personal westdeutscher Universitäten.
     Es verschlägt ihnen die Sprache angesichts dieser, der Asservatenkammer des deutschen Universitätsbeamten entlehnten Argumentationsweise.
     Befangen durch ihre »eingeübten Wahrnehmungsmuster«, bleibt ihnen nichts anderes, als den Herrn Professor fortfahren zu lassen:
     »Es war die aus der Defensive geborene Logik zentraler Kontrolle – das Bestreben, ›die Dinge in den Griff zu kriegen‹ –, die
     zur Reanimation der zentralistischen DDR-Wirtschaftsverwaltungsstrukturen führte. Natürlich wollten die Treuhand-Manager nicht
     die sozialistische Planwirtschaft wiederbeleben. Sie reagierten vielmehr so, wie sie es als Führungskräfte jedes anderen angeschlagenen
     Großunternehmens auch getan hätten, nämlich mit der straffen Führung und möglichst klaren Verantwortlichkeiten. Die Tatsache,
     dass es sich bei dem ›Großunternehmen‹ Treuhandanstalt um den Großteil einer Volkswirtschaft handelte, machte, aus dieser
     Warte betrachtet, keinen grundlegenden Unterschied. Umso größer, aber auch faszinierender war die Herausforderung.«

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|132| Clusterförderung
    Allein das Land Nordrhein-Westfalen mit ähnlicher Einwohnerzahl
hat fast zwanzigmal so viele Unternehmenssitze wie Ostdeutschland
. Haben wir in Westdeutschland zwischen neun und
zehn Industriearbeitsplätze auf 100 Einwohner, sind es in Ostdeutschland
sechs. Im Osten sind zu wenige Unternehmenszentralen
, in denen die großen Anteile an Wertschöpfung und die hohen
Personalkosten entstehen. Rund 50 Prozent der Wertschöpfung des
Ostens werden in verlängerten Werkbänken erarbeitet – von den
Automobilwerken über die Chipfabriken bis zu Banken und Versicherungen
. Schauen Sie sich eine 100 000-Einwohner-Stadt im
Vergleich an: Im Osten gibt es mehr Dönerbuden und im Westen
mehr Juweliere. Und das alles vor dem Hintergrund, dass 850 000
Arbeitsplätze im Osten – ein Fünftel aller ostdeutschen Arbeitsplätze
– nur durch Transfers, also die rund 60 Milliarden Euro, die
jährlich vom Westen in den Osten transferiert werden, erhalten
werden.
     
    Ulrich Blum, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, in einem Interview der ›Ostseezeitung‹ vom 5. November
     2005
    Das

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