Abbau Ost
Zahl der Beschäftigten in den wenigen noch übrig gebliebenen
Unternehmen ständig gesunken. Inzwischen arbeitet gerade noch ein Fünftel der früheren Beschäftigten in den ehemals Volkseigenen
Betrieben, und der Arbeitsplatzabbau ist noch immer nicht zum Stillstand gekommen. Das ostdeutsche Wirtschaftswachstum lag
zwischen 1990 und 2004 im Durchschnitt bei 0,8 Prozent. Dagegen konnten frühere Ostblockstaaten, einstmals wirtschaftlich
nicht so leistungsfähig wie die DDR, eine dynamische Entwicklung vorweisen. Die durchschnittliche Wachstumsrate der Jahre
1998 bis 2004 betrug in Estland 4,9 Prozent, in Ungarn 3,8 Prozent, in der Slowakischen Republik 3,4 Prozent, in Polen 3,3
Prozent und in der Tschechischen Republik 2,0 Prozent.
Heute werden im wiedervereinigten Deutschland Milliardensummen für die Renaturierung jahrhundertealter Industriestandorte
ausgegeben. Junge Menschen wandern ab, und wenn die alte Generation ihre Häuser verlässt, sind sie Vandalismus und Verfall |135| preisgegeben. Dieser Prozess lässt sich nicht mehr umkehren. In Mitteldeutschland, der Wiege des industriellen Fortschritts
auf dem europäischen Kontinent, erobert sich die Natur ihr einstmals abgetrotzte Lebensräume zurück. Dies ist nicht das letzte
Wort der Geschichte. Irgendwann werden Menschen, angetan von den geradezu idealen Bedingungen, die verlassene Kulturlandschaft
neu entdecken, irgendwann kommt es zu einer wirtschaftlichen Renaissance. Die ostdeutschen Landstriche sind geradezu prädestiniert
für die menschliche Besiedlung – das gemäßigte Klima, fruchtbare Böden, eine brauchbare Infrastruktur und eine lange zurückreichende
unternehmerische Tradition. Ostdeutschland wird den Anschluss finden, nur eben nicht morgen, nicht im bevorstehenden Jahrzehnt,
nicht in dieser Generation.
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Mit leichtem Gepäck
Blicken wir noch einmal zurück! Heute wissen wir, dass im Osten
Deutschlands von Anfang an keine realen Chancen für eine demokratische
, rechtsstaatliche Entwicklung bestanden. Konsequenzen
dieser Entwicklung im Osten waren gravierende Einschränkungen
der persönlichen Freiheiten der Menschen, Rechtsverletzungen
durch die Machthaber, wirtschaftliche Stagnation und Massenflucht
. Mehr als drei Millionen Menschen haben diesen Teil
Deutschlands enttäuscht, verbittert und geschunden verlassen.
Rolf Eggert, von 1990 bis 2001 Landtagsabgeordneter und Mitglied der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern, zuletzt als Wirtschaftsminister
In einer ihrer regelmäßig erscheinenden Konjunkturanalysen hatte die Industrie- und Handelskammer zu Schwerin einmal ausgerechnet,
dass in Mecklenburg-Vorpommern zumindest 50 Jahre lang ein Wirtschaftswachstum von 3,5 Prozent erforderlich wäre, damit das
nordöstliche Bundesland den Anschluss zum benachbarten Schleswig-Holstein schafft. Ein solches Wachstum wurde im Osten allenfalls
Mitte der 90er Jahre erreicht, danach stagnierte die Entwicklung, und seit dem Jahr 2000 schrumpft das Bruttoinlandsprodukt. |136| »Ohne eine sprunghafte Aufstockung der industriellen Basis«, hieß es in dem IHK-Konjunkturbericht, »wird in Mecklenburg-Vorpommern
kaum ein ausreichend stabiles Wirtschaftswachstum in den nächsten Jahren erreicht werden.«
Angesichts der Hoffnungslosigkeit hatten im ersten Nachwendejahrzehnt über drei Millionen Arbeitnehmer Ostdeutschland verlassen
und sich in Westdeutschland oder im Ausland eine neue Existenz aufgebaut. Sie reisten mit leichtem Gepäck. Vom Verkauf des
Volksvermögens hatten sie kaum profitiert, allenfalls die emotionale Bindung an ihre Heimat machte ihnen der Abschied schwer.
In umgekehrter Richtung zogen zwischen 1989 und 2003 insgesamt 1,7 Million Altbundesbürger nach Ostdeutschland. Viele von
ihnen hatten Volksvermögen erworben und gerieren sich heute als Arbeitgeber. Sie haben die am besten bezahlten Positionen
in Wirtschaft und Verwaltung inne, es sind Staatsanwälte und Richter, Staatssekretäre und Kriminaloberräte, sie betreiben
Anwaltskanzleien und Immobilienbüros, stellen das Führungspersonal von Versicherungen und Banken, leiten Hochschulen, Universitäten
und Krankenhäuser, sie wohnen in den schönsten Häusern und besitzen Schlosshotels, Golfplätze und ausgedehnte Jagdreviere.
Viele sind um Integration in die ostdeutsche Bevölkerung bemüht, was angesichts ihrer herausgehobenen Einkommenssituation
nicht immer einfach scheint.
Die Spannungen sind allenthalben spürbar. Im
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