Abbau Ost
gewandelt und den veränderten Marktbedingungen
angepasst haben, in einem Punkt haben wir uns nicht verändert. Nämlich in unserem ausschließlich wirtschaftlichen Engagement
in den neuen Bundesländern. Die TLG Immobilien hat ihre Haftung, ihren Wirkungskreis und ihre Kompetenz im Osten. Und dabei
soll es bleiben.« Da ging ein Aufatmen durch die Stuhlreihen, aber immer noch stand eine Frage im Raum, wie kam die TLG zu
ihrem Immobilienbesitz? »Allein mit der Auflösung der Treuhandanstalt 1994«, sagte Volkmar von Obstfelder auf dem Weltkongress,
»wurden der TLG über Nacht 40 000 Liegenschaften übertragen. Und, meine Damen und Herren, damit kein Irrtum auftritt, diese
Liegenschaften wurden entgeltlich übertragen. Sie wurden gekauft! Zu Preisen, die den Wertvorstellungen von 1994/95 entsprachen,
und die waren, gemessen an der Wertentwicklung, die dann tatsächlich stattgefunden hat, hoch!«
Mit anderen Worten: Die Bundesrepublik Deutschland hatte sich einen großen Teil des früheren Volksvermögens selbst verkauft
und dafür am internationalen Bankenmarkt ein Darlehen aufgenommen. Damit der Bankendeal über die Bühne gehen konnte, verwandelte
der Bund seine Treuhandbehörde in eine Gesellschaft |129| mit beschränkter Haftung und stattete »die neue TLG« mit einem Eigenkapital von 100 000 D-Mark aus. Die Höhe des Darlehens,
mit dem die 40 000 volkseigenen Liegenschaften bezahlt wurden, war nie publiziert worden, allerdings hatte es die TLG nach
eigenem Bekunden innerhalb von fünf Jahren abgelöst. In dieser Zeit hatte sich der Immobilienbestand lediglich um etwa 4000
Grundstücke, etwa ein Zehntel des Gesamtbestandes verringert. Offenbar musste das Darlehen aus dem Verkauf dieser Grundstücke
und aus Miet- und Pachteinnahmen bezahlt worden sein.
Im Jahr 2000 kam den Beamten im Bundesfinanzministerium eine neue Idee. Die TLG wurde ein weiteres Mal umgestaltet, diesmal
»weg von der Treuhand-Privatisierungsgesellschaft und hin zu einer auf Dauer angelegten wettbewerbsfähigen Immobiliengesellschaft«.
Nachdem sich der Immobilienbestand in den Jahren von 1995 bis 2000 nur wenig verringert hatte, setzte jetzt eine hektische
»Portfoliobereinigung« ein. In nur vier Jahren wurden 26 000 Liegenschaften abgestoßen und aus der DDR-Hinterlassenschaft
»ein attraktiver und rentabler Immobilienbestand« geformt.
Auf der ganzen Welt gibt es kein zweites Immobilienunternehmen, das sein Portfolio aus 40 000 eigenen Liegenschaften auswählen
konnte. Wer kann schon ermessen, welchen Einfluss ein Unternehmen mit so herausragender Marktstellung auf Mietpreise und Grundstückskosten
nimmt? Wer kann schon mit Sicherheit sagen, ob die Staatsnähe und schiere Größe bei der Vergabepraxis von Fördergeldern und
öffentlichen Aufträgen der TLG nicht eine bessere Stellung einräumt als anderen Wettbewerbern? Möglicherweise wird sich die
TLG noch eine Weile auf Ostdeutschland beschränken, aber wer mag sich, bei allem schier Unmöglichen und jeder Demokratie Hohnsprechenden,
was da vor aller Augen abgelaufen ist, schon endgültig festlegen, ob die TLG Immobilien GmbH nicht schon bald in eine neue
Phase ihrer Unternehmensgeschichte eintritt, den inzwischen zu eng gewordenen Rahmen ihres ostdeutschen Engagements sprengt,
sich nach Westdeutschland ausdehnt und schließlich, auf der soliden Basis ihres ostdeutschen Portfolios, den internationalen
Immobilienmarkt ins Visier nimmt.
[ Menü ]
|130| Die Treuhand als Winkelried
»Die ›Treuhand‹ agierte an den politischen Strukturen der Bundesrepublik
vorbei, verkörperte somit ein Stück DDR – und war gerade
deswegen erfolgreich. Mehr noch: Wie jener Schweizer namens
Winkelried in der Schlacht bei Sempach (1386) sich vor seine Mitkämpfer
stellte, die gegnerischen Pfeile auf sich zog und damit erst
den Sieg ermöglichte, so zog die ›Treuhand‹ im Sanierungsgeschäft
alle Aggressionen auf sich und schützte damit die politischen Institutionen
der Bundesrepublik und bewahrte die Demokratie vor Legitimationsverlust
angesichts einer schmerzhaften, aber unvermeidbaren
Operation.«
Aus: ›Der Bürger im Staat‹, Heft 4/2000, Seite 231, Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg
Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die in neuerer Zeit über die Treuhandanstalt verbreitet werden, entfernen sich
von Jahr zu Jahr weiter von der Realität, und am Ende, wenn nur erst genügend Zeit
Weitere Kostenlose Bücher