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Abbau Ost

Titel: Abbau Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Baale
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Zwischenlösungen, bei denen die wahre Herkunft der Gesetzestexte ein wenig kaschiert wurde, sozusagen
     Arbeitsgruppenkompromisse von Beamten aus unterschiedlichen Herkunftsgebieten. Insgesamt aber machte die neue Verwaltungselite
     genau das, was sie gelernt hatte. Auch wenn die Bezeichnung neue Bundesländer das suggerierte, so entstand nichts Neues, sondern
     eine fantasielose Kopie westdeutscher Verwaltungsstrukturen.
    Und während die öffentlichen Verwaltungen wuchsen und gediehen, schrumpfte die Wirtschaft. In der Hektik war ganz übersehen
     worden, dass die Gründe für den Niedergang der DDR in |151| wirtschaftlichen Problemen lagen und nicht im Fehlen der westdeutschen Bürokratie.

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Große Erwartungen
    Die Ankunft der westdeutschen Beamten wurde in den ostdeutschen Verwaltungen mit Spannung erwartet. Sie waren sozusagen die
     menschlichen Pendants zur D-Mark-Umstellung und die bewunderten Repräsentanten einer Währung, für die man all das kaufen konnte,
     was es zu DDR-Zeiten nicht gab. Das alte Leitungspersonal hatte bereits die Schreibtische geräumt. Einige verloren wegen ihrer
     Mitarbeit beim Überwachungsapparat die Arbeit, andere wurden – in der Umbruchzeit war so etwas möglich – wegen Unfähigkeit
     ihrer Position enthoben. Oftmals wurden aber auch fähige Führungskräfte wegen des absurden Vorwurfs allzu großer Staatsnähe
     aus öffentlichen Ämtern gedrängt. Die Betroffenen sind nie wieder rehabilitiert worden. Nur wenige haben beruflich wieder
     festen Boden unter die Füße bekommen, die meisten mussten sich mit Tätigkeiten über Wasser halten, die weit unter ihren Fähigkeiten
     und ihrer beruflichen Qualifikation lagen. Ihre Funktionen haben Westdeutsche und ostdeutsche Wendegewinner übernommen, die
     aufgrund ihres politischen Engagements den unmittelbaren Zugriff auf die staatlichen Verwaltungen hatten. Ansonsten drängten
     sich Ostdeutsche nicht unbedingt in den Vordergrund. Den meisten fehlte der Hang zur Selbstdarstellung und zumindest anfangs
     das Wissen um westdeutsche Verwaltungsabläufe. Aber sie waren voller Wissbegier und wollten sich gern unterweisen lassen,
     wie sie das, was sie teils schon Jahrzehnte leisteten, noch besser machen könnten. Und so starrten sie gebannt und mit der
     DDR-Bürgern eigenen Bescheidenheit auf den westdeutschen Beamtenstaat, der angetreten war, sie in Theorie und Praxis des traditionellen
     deutschen Verwaltungshandelns zu unterrichten. Dessen erste Sendboten hatten in weiser Voraussicht eine persönliche Auswahl
     der wichtigsten Gesetzestexte aus dem Altbundesgebiet mitgebracht und gewichtig an ihrem neuen |152| Arbeitsplatz aufgestapelt. Und auf diese Weise, mit dem Zeigefinger in der Zeile des Gesetzes, gaben sie den ostdeutschen
     Verwaltungsmitarbeitern eine Vorstellung dessen, was sie in Westdeutschland gelernt hatten.
    Die ehemaligen DDR-Bürger wunderten sich und schwiegen. Während draußen in den Treuhandbetrieben Hunderttausende ihre Arbeit
     verloren, saßen sie in einem warmen Büro und konnten sich, im Vergleich zu früher, hoher Bezüge erfreuen.

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Die Entdeckung der Bürokratie
    Die DDR war im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland nicht nur ein erstaunlich unbürokratisches Gemeinwesen, sie war sogar,
     und das ist gewiss keine Übertreibung, der am wenigsten mit Bürokratie befrachtete Staat, den Deutsche zumindest in den letzten
     zwei Jahrhunderten unterhalten hatten. Mit dem Anspruch eines völligen Neubeginns wurden in der DDR jahrhundertealte Verwaltungstraditionen
     »auf den Müll der Geschichte geworfen«, Gesetzestexte, die mitunter noch auf das preußische Allgemeine Landrecht zurückgingen,
     entstaubt, deutlich kürzer gefasst und von schwülstigem Vokabular befreit. Die Gesetze, dies war der Anspruch, sollte jeder
     Bürger verstehen können. Das Zivilgesetzbuch der DDR hatte 480 Paragrafen, das Bürgerliche Gesetzbuch regelt das Zivilrecht
     in 2385 Paragrafen. Während auch der nicht akademisch gebildete Bürger das Zivilgesetzbuch in die Hand nehmen und meist schon
     durch die Lektüre herausfinden konnte, ob er im Recht war, entzweien sich selbst erfahrene Juristen an den Spitzfindigkeiten
     des Bürgerlichen Rechts. Richter kommen, bei gleich gelagerten Fällen, zu gänzlich anderen Urteilen. Die Rechtslage wird am
     Amtsgericht Köpenick möglicherweise ganz anders beurteilt als am nur wenige Kilometer entfernten Amtsgericht Tiergarten, wobei
     sich das Landgericht Berlin

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