Abbau Ost
erwägt.
Damit verglichen, waren Beschäftigungsverhältnisse in den öffentlichen Verwaltungen der DDR nicht besonders attraktiv. Vor
allem aber arbeiteten ostdeutsche Verwaltungsangestellte ohne das Eigeninteresse eines übermächtigen, ständig die eigene Bedeutung |155| rechtfertigenden Berufsstandes. Die aus heutiger Sicht unkonventionellen Verwaltungslösungen entsprachen der damaligen wirtschaftlichen
Leistungskraft. Die DDR-Bürger konnten ihre Verwaltungen tatsächlich bezahlen, während heute ein auf Dauer nicht hinnehmbares
Missverhältnis zwischen Steueraufkommen und Verwaltungskosten besteht. Gäbe es eine verlässliche, menschliches Handeln bestimmende
Vernunft, so hätte sich Deutschland diesen Vorzug im Beitrittsgebiet bewahrt und sich allein auf die marktwirtschaftliche
Umgestaltung der volkseigenen Kombinate konzentriert. Nicht ein in preußischem Verwaltungsrecht geschulter Beamter wäre dafür
notwendig gewesen. Heute leidet nicht nur die ostdeutsche Restwirtschaft unter der Regelungswut, auch der Bürger ist frustriert
von den ständigen bürokratischen Attacken auf seine Privatsphäre. Es ist für jeden, der das erleben durfte, eine fast wehmütige
Erinnerung, wie unbeschwert es sich ohne die Herrschaft der Bürokraten leben ließ: niemals eine seit Monaten überfällige Steuererklärung,
nie ein ganzer Schreibtisch voller Papierkram, keine Regalfächer voller Aktenordner mit unverständlichen Rechnungen und in
schwülstigem Beamtendeutsch verfasstem Schriftverkehr. Die Unterlagen für den Bau eines Einfamilienhauses – einschließlich
Versicherung und Kreditvertrag – ließen sich in eine Mappe heften, deren Umfang gerade den eines Schreibheftes für Erstklässler
erreichte. Die Ostdeutschen lebten zu DDR-Zeiten, ohne sich dessen recht bewusst zu sein, weitgehend frei von den Zumutungen
eines außer Kontrolle geratenen Verwaltungsapparates. Was Bürokratie wirklich bedeutet, lernten sie erst nach 1990 kennen,
als ganze Paletten voller Gesetzestexte nach Ostdeutschland geliefert wurden und westdeutsche Beamte die Herrschaft übernahmen.
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|156| Hochsinnige Bürokraten
Unsere Beamten werden sich nicht mehr das Heft aus der Hand
nehmen lassen, auch von parlamentarischen Mehrheiten nicht, die
wir ja meisterhaft zu behandeln wissen. Keine Herrschaft wird so
leicht ertragen, ja so dankbar empfunden, wie die Herrschaft hochsinniger
und hoch gebildeter Beamten. Der deutsche Staat ist ein
Beamtenstaat – hoffen wir, dass er in diesem Sinne ein Beamtenstaat
bleibe!
Georg Friedrich Knapp, Rektor der Reichsuniversität Straßburg in seiner Präsidentenansprache am 1. Mai 1891
Die Rückkehr des deutschen Berufsbeamtentums nach Ostdeutschland war eher unspektakulär vor sich gegangen. Die Beamten übernahmen
sozusagen im Selbstlauf der deutschen Einigung jene Ende des Zweiten Weltkrieges an die sowjetische Besatzungsmacht verlorenen
Verwaltungsgebiete. Kaum jemand erregte sich großartig oder stellte Fragen, niemand interessierte sich für dieses ganz besondere
Geschenk, das die DDR mit in das wiedervereinigte Deutschland gebracht hatte: vom Beamtenstatus befreite öffentliche Verwaltungen
und Bildungseinrichtungen. Für die ehemaligen DDR-Bürger liegt eine große Brisanz in diesem Thema. Das Wissen um die besondere
Verantwortung des Beamtenstandes für die Teilung Deutschlands war in der DDR verloren gegangen. Aber das Interesse wird größer.
Das Verständnis des Berufsbeamtentums ist der Schlüssel zum Verständnis der deutschen Geschichte im ausgehenden 19. und im
20. Jahrhundert. Auch wenn Ostdeutschland oder das historische Preußen als Geburtsstätte des deutschen Berufsbeamten gilt,
so gibt es gute Gründe, den Beamtenstand als durch und durch unpreußisch zu bezeichnen. Das Beamtentum kam vor zweieinhalb
Jahrhunderten im Schlepptau der Französischen Revolution und der vorrevolutionären Umwälzungen nach Preußen. Friedrich II.
imitierte französische Verwaltungsmethoden und ließ sich dabei von einem Stab mehrerer hundert, aus Frankreich angereister
Bürokraten unterstützen. Der preußische König ernannte einen Franzosen zum Rechtspostminister und einen weiteren zum Präsidenten
der |157| Akademie. Die anfangs noch elitäre Beamtenausbildung, zu der Männer aus allen sozialen Schichten Zugang hatten, löste die
Verwaltungsfunktion des Landadels ab und stellte damals einen unerhörten Fortschritt dar. Doch die Freude
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