Abbey Road Murder Song
weit von dort, wo Ihr Mann gefunden wurde.« Er zeigte auf das Formular. »Wie Sie sehen, ist er seit Mittwoch nicht mehr zur Arbeit erschienen. Die dachten, weil er zu verkatert war. Am Dienstag hatte er nämlich Geburtstag gehabt.«
An der Wand hing das Werbegeschenk einer Firma für Mietmaschinen, ein Kalender. Auf dem Novemberbild saß ein Mädchen oben ohne seltsam unbequem auf einem blauen Moped. Jemand hatte mit Kugelschreiber Kreise um ihre Nippel gemalt.
»Aber am Donnerstag ist er auch nicht erschienen und wurde seitdem gar nicht mehr gesehen?«
»Genau. Nicht mal seinen Lohn hat er sich abgeholt.«
»Hat jemand eine Adresse von ihm?«
»Ich. Er war ein Cousin des Vorarbeiters. Die haben ihn eingestellt, um seinem Vater einen Gefallen zu tun.«
»Wurde der Vater kontaktiert und gefragt, ob er sich bei ihm gemeldet hat?«
»Natürlich. Und nein, ich fürchte, er hat sich nicht gemeldet.«
»Wie alt war er?«
»Zwanzig ist er geworden. Und zur Feier des Tages bekam er eine Flasche Whiskey geschenkt.«
»Eine Flasche?«
»Ja.«
Breen sagte nichts, notierte aber die Adresse des Vaters.
»Soll ein netter Junge gewesen sein.«
»Und wurde er öfter schon vermisst?«
»Vermisst werden sie ja alle, auf gewisse Weise. Eigentlich sollten diese Jungs zu Hause sein, sich um die Höfe ihrer Eltern kümmern und Mädchen nachlaufen, anstatt hier Häuser zu bauen und sich zu betrinken.«
Auf halbem Weg über die Baustelle blieb Breen stehen. Der Matsch reichte ihm jetzt fast bis zu den Socken.
»Sie hätten Stiefel anziehen sollen«, sagte ein Mann mit Schiebermütze.
»Na schönen Dank, Sie mich auch.«
Das träge Hämmern der Ramme schien den Boden zu erschüttern, auf dem er stand. Doch anstatt dorthin zu gehen, wo es einigermaßen trocken war, machte er noch einmal im Schlamm kehrt und stapfte zum Verschlag des Vorarbeiters zurück. Der Matsch sog sich an seinen Sohlen fest. Er spürte, wie die Feuchtigkeit durch die Nähte seiner Schuhe in seine Socken drang.
Zum zweiten Mal öffnete er die Tür. Nolan blickte auf. »Was vergessen?«, fragte er.
»Sie wollten erzählen, was meiner Mutter und meinem Vater widerfahren ist.«
Das Gesicht des Mannes blieb ausdruckslos. »War nicht wichtig, hab ich doch gesagt.«
Breen nahm eine Zeitung und wischte sich den Matsch von den Lederschuhen. »Wenn’s nicht wichtig ist, dann können Sie’s ja auch erzählen.«
Der Mann änderte den Kurs. »Wenn er’s Ihnen nicht gesagt hat, dann wollte er offensichtlich nicht, dass Sie’s wissen.«
Breen zerknüllte die schmutzige Zeitung und warf sie in einen Abfallkorb, dann machte er sich mit einer frischen Zeitungsseite an seinem anderen Fuß zu schaffen. Der Mann nahm eine Zigarette aus der Hemdtasche, bot Breen eine an, aber dieser lehnte ab. »Ich weiß nicht, ob es mir zusteht, Ihnen das zu sagen, wenn er’s Ihnen nicht gesagt hat.«
»Mein Vater ist tot.«
»Ich möchte trotzdem seine Wünsche respektieren.«
Breen saß inzwischen auf dem Stuhl vor Nolans Schreibtisch. »Respektieren Sie meinen Wunsch. Ich habe keine Angehörigen mehr. Meine Eltern sind beide tot. Wenn Sie’s nicht tun, gibt es niemanden, der es mir erzählen könnte.«
»Auch wieder wahr«, lenkte der Vorarbeiter ein. Er sog an seiner Zigarette, blies Rauch durch die Nase, dann sagte er: »Sie wissen also nicht, weshalb Ihr Vater und Ihre Mutter Irland verlassen haben?«
»Weil sie’s gehasst haben. Er hielt Irland für hoffnungslos rückständig.«
»Mag sein. Aber da war noch was. Ihre Mutter war Lehrerin an der Dorfschule. Sie war zehn Jahre älter als er, eine verheiratete Frau. Sie wurde von ihm schwanger. Wussten Sie das nicht?«
»Nein.«
»Können Sie sich vorstellen, was das für einen Aufstand gegeben hat?«
»Davon wusste ich nichts. Nur dass sie sehr verliebt waren.«
»Ihre Geburt war ein Riesenskandal. Die Kirche wollte Sie ins Waisenhaus stecken und die ganze Angelegenheit unter den Teppich kehren.« Nolan drückte seine Zigarette aus und zündete sofort eine neue an. »Der Ehemann Ihrer Mutter war wohl ein humorloser alter Kauz. Soweit ich weiß, hat er bei der Bahn gearbeitet. An so etwas wie Scheidung war natürlich nicht zu denken. Also sind die beiden mit Ihnen nach England durchgebrannt.«
Breen versuchte, sich seinen stillen Vater als wagemutigen, romantischen jungen Mann vorzustellen, doch es gelang ihm nicht.
»Sie starb nicht lange nach ihrer Ankunft hier. Wahrscheinlich können Sie sich gar nicht
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