Abbey Road Murder Song
ging zu schnell, ich hab’s nicht gesehen. Meinen Sie, das war der Major?«
»Wenn er abgehauen ist, sieht das nicht gut für ihn aus.«
»Mein Gott. Überlegen Sie mal. Ein Vater der seine eigene Tochter umbringt, ganz schön finster.«
Breen betrachtete seine Hände, sie zitterten immer noch. Das Ticken der Standuhr kam ihm absurd laut vor.
»Zwanzig Zentimeter weiter rechts und der wäre voll auf uns draufgeknallt.« Sie blickte auf. »Was war das?«
Er fasste sich ins Gesicht. »Hat’s schon aufgehört zu bluten?«
»Das. Was war das?«
»Was meinen Sie?«
»Das.«
»Ich hab nichts gehört.«
»Ein Geräusch.«
Breen lauschte. Nichts.
»Hören Sie das nicht?«
»Nein.«
»Hallo?«, rief Tozer.
Dieses Mal war es lauter, direkt über ihren Köpfen. Ein Knarzen.
»Und da wieder, hören Sie doch.«
Unverkennbar ein gedämpftes Klopfen.
Breen rannte die Treppe hinauf, nahm zwei Stufen auf einmal, Tozer direkt hinter ihm. Der obere Flur war mit Teppich ausgelegt, links und rechts gingen Türen ab. Gleich die erste führte ins Schlafzimmer.
Noch von der Treppe aus sah Breen durch die geöffnete Tür Bettzeug, das von der Matratze auf den Boden gezerrt worden war. Als Nächstes bemerkte er zwei blasse nackte Beine auf dem Boden, der restliche Körper lag hinter dem Bett.
»Hallo?«
Die Beine bewegten sich nicht. Langsam trat er ins Schlafzimmer, ging vorsichtig auf das hintere der beiden Betten zu, bis er sah, wer dort lag.
Der Major konnte nicht gefahren sein, so viel stand jetzt fest. Er lag auf dem Bauch. Sein Gesicht in einer Blutlache, wie mit den Bodendielen verschmolzen, sein Kopf erinnerte an eine halbe Orange. Die Flinte musste aus geringer Entfernung abgefeuert worden sein. Sie hatte die Vorderseite seines Kopfes zerfetzt. Übrig war nur noch der Hinterkopf.
»Oh Gott«, sagte Tozer und schlug die Hand vor den Mund.
Er hatte ein Pyjamahemd an, aber keine Hose. Das Hemd hatte einiges von dem Blut am Boden aufgesaugt und sich dabei fast vollständig schwarz verfärbt. Einige Sekunden gelang es Breen, sich von dem Anblick zu distanzieren. Die Stellung des Majors leuchtete Breen schon rein physikalisch nicht ein; die Waffe war offensichtlich aus nächster Nähe abgefeuert worden, und trotzdem war der Major nach vorne gefallen. Ein so heftiger Schusshätte ihn eigentlich nach hinten werfen müssen. Doch dann drehte Breen sich zur tapezierten Wand um und sah dort eine perfekte von Schrotkugeln gezeichnete Silhouette. Man hatte ihn so dicht an der Wand hingerichtet, dass sein Körper mit Wucht dagegengeknallt, abgeprallt und nach vorne gefallen war, wo er jetzt lag. Noch immer seltsam gelassen und gar nicht mehr zitternd kniete sich Breen neben den Mann und tastete nach seinem Puls. Das Handgelenk war warm, aber wie erwartet, fand er nicht das leisteste Pochen.
Bei der Berührung mit dem toten Fleisch verlor Breen jedoch die Ruhe. Er ließ den Arm in das gerinnende Blut fallen, verließ rasch den Raum und übergab sich in einen Blumentopf oben an der Treppe.
»Oh Gott«, sagte Tozer erneut, direkt hinter ihm.
Als er fertig war, setzte er sich auf die Treppe. Tozer setzte sich auf die Stufe über ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er spürte, dass sie fast genauso heftig zitterte wie er.
»Wir geben ja ein schönes Paar ab.«
»Der arme Mann.« Er würgte erneut.
»Erstaunlich, dass Sie überhaupt noch Essen bei sich behalten.«
An der Treppe hingen kleine gerahmte Holzschnitte. Ein Baum, kletternde Jungen, die Eier aus einem Nest stahlen. Ein Fisch auf einem Teller.
»Sollen wir …« Er hielt inne.
»Was?«
»Da ist wieder das Geräusch«, flüsterte er.
»Sind Sie sicher?«
Er legte den Zeigefinger an die Lippen. Sie lauschten.
»Oh Gott. Glauben Sie, das ist seine Frau?«
Ein weiteres, lauteres Geräusch.
»Wenn das sie ist, wer saß dann im Wagen?«, flüsterte sie.
Er stand auf, atmete tief durch und merkte, wie sich ihm erneut der Magen umdrehte. Dann ging er zurück ins Schlafzimmer.
Ihr Bett sah benutzt aus. Daneben zwei gerahmte Schwarz-Weiß-Fotos, eines von dem toten Mädchen, Morwenna, mit ernstem Gesichtsausdruck und in Schuluniform, das andere zeigte einen Jungen, vermutlich ihren toten Bruder.
Er blieb stehen und sah sich um. An der Wand dem Bett gegenüber hing ein riesiges Schwarz-Weiß-Foto von Julia Sullivan. Darauf trug sie einen großen weißen Schlapphut und ein weißes Spitzenkleid. Das Spitzenkleid war geöffnet und eine Brust entblößt.
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