Abbild des Todes
zuckte unwillkürlich zurück.
Er betrachtete sie mit besorgtem Blick. “Was ist los, Zoe?”
Die Frage rutschte ihr heraus, bevor sie richtig darüber nachgedacht hatte. “Hast du Lola umgebracht?”
Panik spiegelte sich in seinem Blick wider. “Was?”
“Ich weiß von den Rosen.”
Auf dem Weg zurück zu seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch stieß er einen tiefen Seufzer aus, als hätte er die Luft für Ewigkeiten angehalten, und atmete nun endlich aus. Dann setzte er sich, faltete die Hände um den ledernen Tintentrockner und schloss seine Augen.
Zoes Herz begann wie wild zu schlagen. Sie hatte so gehofft, falsch zu liegen. Aus Zuneigung zu einem Mann, der wie ein Vater zu ihr war, hatte sie um ein kleines Wunder gebetet, eine dieser seltsamen Verwicklungen, die am Ende doch noch einen perfekten Sinn ergaben.
Aber der Mann, der in sich zusammengesunken in seinem Sessel saß, ließ sie alle Hoffnungen aufgeben. “Hast du sie umgebracht?” Ihre Stimme brach, als sie die Frage wiederholte.
Sie wartete darauf, dass er es heftig abstreiten würde. Aber alles, was er tat, war, müde mit dem Kopf zu schütteln.
“Ich glaube dir nicht.”
“Das kann ich wohl auch nicht erwarten.” Für einige Sekunden drückte er seine Handflächen gegen die Augen. “Ich hätte dir alles erzählen sollen, als du mich vor Kurzem mit der ganzen Sache konfrontiert hast.”
“Warum hast du es nicht getan?”
“Ich hatte Angst, dass ich dann der Hauptverdächtige wäre.”
“Weil du Lolas Liebhaber warst?” Selbst jetzt war diese Vorstellung für sie noch absurd.
“Das klingt verrückt, nicht wahr? Ein Mädchen wie sie. Ein alter Mann wie ich.” Er atmete tief ein. “Lola und ich hatten eine Beziehung, die nur wenige Menschen verstehen können.”
“Erklär es mir.”
Er nahm sich einen Augenblick, um seine Gedanken zu sortieren. “Ich war drei-, vielleicht viermal im
Blue Moon
, und eines Nachts, anstatt nach Lolas Auftritt nach Hause zu gehen, überlegte ich mir, sie anzusprechen, sie einzuladen, mit mir einmal einen Kaffee trinken zu gehen.”
“Gleich da? Im
Blue Moon?
Vor allen Leuten?”
“Nein, natürlich nicht. Ich wartete an der Hintertür, bis sie herauskam. Wie ein Teenager vor seiner ersten Verabredung stand ich da, wartete darauf, dass sie an der Tür erscheinen würde. Ich wiederholte in Gedanken immer wieder, was ich ihr sagen wollte, es war mir vollkommen egal, dass ich mich dabei wie ein totaler Trottel anhören würde. Zu meiner Überraschung nahm sie meine Einladung auf einen Kaffee an. Wir haben bis drei Uhr morgens geredet.”
“Hast du ihr erzählt, dass du verheiratet bist?”
“Nein.” Er starrte auf den Tintentrockner und begann, mit ihm zu spielen. “Am folgenden Tag gingen wir ins Aquarium im Baltimore Harbor. Wir waren wie Kinder. Mit ihr fühlte ich mich so lebendig, so jung. Ich glaube, an dem Tag habe ich mich in sie verliebt. In Baltimore.”
Ein trauriges Lächeln umspielte seine Mundwinkel. “Oh, versteh mich nicht falsch. Ich war nicht dumm. Ich wusste, auf was ich mich da eingelassen hatte, und ich wusste, dass es nicht halten würde. Ich war einfach zufrieden, dass jemand, der so wunderschön war wie Lola, eine Frau, die jeden Mann haben konnte, Zeit mit mir verbrachte. Als ich ihr das sagte, lachte sie und nannte mich Dummkopf, weil ich so eine schlechte Meinung über mich hatte. Sie sagte, sie liebe es, mit mir zusammen zu sein, weil ich freundlich und rücksichtsvoll sei, ein wahrer Gentleman. Mit mir könne sie die ‘Femme fatale’ ablegen und nur sie selbst sein. Sie gab zu, einen schrecklichen Geschmack zu haben, was Männer anging, und dass ich eine erfrischende Ausnahme sei. Äußerlich schien sie stark zu sein, doch innerlich war sie liebevoll und verletzlich – zwei Charakterzüge, die unglücklicherweise immer die falschen Männer anzogen.”
“Hat sie über diese Männer gesprochen?”
“Niemals. Sie war in diesen Dingen sehr diskret. Darum habe ich mich bei ihr so sicher gefühlt. So egoistisch das auch klingen mag, aber ich wollte meine Frau nicht verlieren.”
“Wer hat die Beziehung beendet?”
“Ich. Nicht, weil ich es wollte, sondern weil ich es musste.”
“Was bedeutet das?”
“Lola hatte sich verliebt.”
Der mysteriöse verheiratete Mann, von dem Annie ihr erzählt hatte? “In wen?”
“Das hat sie mir nicht verraten. Sie wollte es erst gar nicht zugeben, aber schließlich habe ich es doch aus ihr
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