Abbild des Todes
Wodka aus dem kleinen Kühlschrank, füllte zwei schlanke hohe Gläser und reichte ihr eines. “Skol.” Er stieß mit Zoe an. “Auf die Wahrheit. Hoffentlich kann ich nun schlafen.”
Zoe nahm einen Schluck und spürte die hochprozentige Flüssigkeit wie heiße Seide ihre Kehle hinunterrinnen. E.J. nippte ebenfalls schweigend, und dann – völlig unerwartet für Zoe – begann er, von Lola zu erzählen. Von ihrem Traum, eines Tages eine berühmte Theaterschauspielerin zu werden wie ihre Tante.
“Ich frage mich, warum sie damit nie Erfolg gehabt hat”, sagte Zoe.
“Ich weiß, warum.” Er ließ ein kleines trauriges Lachen hören. “Sie war fürchterlich.”
Zoe drehte sich zu ihm um. “Das meinst du nicht ernst.”
“Traurig, aber wahr. Ich liebte das Mädchen und habe sie, wo es nur ging, unterstützt, aber wenn sie mit mir für ihre Vorsprechen übte, wollte ich immer am liebsten davonlaufen.”
“Wie konnte sie im
Blue Moon
so gut und auf der Theaterbühne so schlecht sein?”
“Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Um als Sängerin geschätzt zu werden, brauchte sie nur ihre goldene Stimme und ihr sinnliches Aussehen. Beim Schauspielern muss man jedoch tief in sich hineingehen und das, was man dort findet, auf eine Art ausdrücken, die das Publikum mit einem lachen oder weinen lässt. Das konnte Lola nicht. Sie war steif und unbeholfen. Aber sie hat es weiß Gott versucht. Das war eine ihrer liebenswertesten Fähigkeiten: der feste Glaube daran, dass, trotz aller Zurückweisungen, das Morgen voller Versprechen war.”
“Ich frage mich, ob ihre Tante von ihrer fehlenden schauspielerischen Begabung wusste.”
“Ich frage mich, wie sie
nicht
davon wissen konnte. Aber sehr wahrscheinlich liebte Frieda sie zu sehr, um ihr die Wahrheit zu sagen. Genauso wie ich.”
Er musterte sein Glas, als ob er sich nicht entscheiden könnte, noch einen Drink zu nehmen oder nicht. Schließlich stellte er es ab. “Also: Wer werde ich sein?”
“Wie bitte?”
“In deinem Comic. Wer werde ich da sein?”
“Keiner. Du existierst nicht. Und ich werde dich auch nicht aufnehmen.”
Er blickte sie überrascht an. “Findest du mich nicht interessant genug?”
Sie lachte. “Möchtest du gerne in dem Comic mitspielen?”
“Gute Güte, nein.” Fragend hob er die Wodkaflasche an, doch Zoe schüttelte den Kopf. Ein Glas davon war so ziemlich alles, was sie auf leeren Magen vertragen konnte.
Er griff nach einem prall gefüllten Umschlag auf dem Sitz gegenüber. “Hier. Eine neue Fuhre E-Mails. Maureen sagt, dass du jeden Tag neue Rekordmarken setzt. Vielleicht sollten wir diese Leserhinweise zur permanenten Einrichtung ausbauen.”
Sie nahm ihm den Umschlag ab und schaute hinein. “Ich werde drüber nachdenken.”
Sie blätterte durch den dicken Stapel, las den einen oder anderen Hinweis eines Lesers auf die weitere Handlung, lächelte bei einigen, schüttelte bei anderen den Kopf.
Eine E-Mail ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Sie war von Lonesome Me und klang noch feindlicher als die vorherigen. Wieder spürte sie zwischen den Zeilen seinen Drang, ihre Handlungen zu kontrollieren.
“Stimmt etwas nicht?” E.J. beobachtete sie.
“Dieser Brief.”
“Was ist mit ihm?”
“Er ist von einem Leser, einem Mann, der sich Lonesome Me nennt.”
“Ich erinnere mich an ihn. Er hat dir den ersten Hinweis geschickt.”
“Er hat mir weitere gemailt und wurde mit jedem Mal ein bisschen wütender, weil ich sie nicht nutze.”
“Was schreibt er?”
“Liebe Miss Foster”, las sie laut vor. “Anstatt als Privatdetektivin zu arbeiten, sollte Kitty Floyd ihrem lahmen Hirn keine anspruchsvollere Tätigkeit als Toiletten putzen zumuten.”
E.J. nahm ihr den Brief aus der Hand. “Wer ist dieser Kerl?” Er las den Brief zu Ende. “Ich habe Ihnen in der letzten Woche mehr als ein Dutzend Hinweise gegeben – alle waren gut, aber trotzdem haben Sie außer dem ersten Hinweis keinen weiteren genutzt. Warum ist Kitty so versessen darauf, das Offensichtliche zu ignorieren? Ist sie nur strohdumm oder ist es der kreative Kopf hinter ihr, dem es an Vorstellungsvermögen mangelt? Es ist Zeit, diese fürchterliche Geschichte zu einem befriedigenden Ende zu bringen und sich anderen Dingen zu widmen. Mit freundlichen Grüßen, Lonesome Me.”
E.J. gab ihr den Brief zurück. “Ich hoffe, dass du ihm nicht geantwortet hast.”
“Nein, doch das scheint ihn nicht aufzuhalten.”
“Und jetzt greift er dich
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