Abbild des Todes
wenn er da ist.”
“Komm schon, Baby, rein hier.”
Fluchend und zerrend versuchte Zoe, die Douglas-Tanne, die sie über viereinhalb Häuserblöcke weit geschleppt hatte, durch die Tür ihres Lofts zu zwängen. Warum hatte sie nur einen so großen Weihnachtsbaum gekauft? Jedes Jahr schwor sie sich, dass der nächste Baum kleiner würde, und jedes Jahr ging sie zu dem Stand auf der Sullivan Street und verließ ihn mit der größten Tanne, die angeboten wurde.
Sie hätte einen ihrer zahllosen Besucher fragen sollen, ob er noch bleiben und ihr helfen würde. Den ganzen Nachmittag über war es in ihrem Apartment zugegangen wie in einem Taubenschlag. Freunde und Nachbarn waren gekommen, um Blumen, Essen und gute Wünsche vorbeizubringen. Joes Mutter stand mit einem Topf von Zoes liebster Sancocho vor der Tür – und nicht nur, weil sie der Meinung war, dass Suppe alle Leiden heilt, sondern weil Marie daran glaubte, dass sie die bösen Geister vertreiben würde, die sie um Zoe herum zu spüren meinte.
Im Moment war Zoe allerdings leider allein mit diesem Ungetüm von Weihnachtsbaum, der sich nicht ein Stückchen von der Stelle rühren wollte. Sie versuchte es noch ein letztes Mal und fiel rückwärts durch die Tür, als der Baum endlich nachgab. “Guter Junge.”
Sie zog ihn zum Fenster, wo der Baumständer bereits auf ihn wartete. Nach einer guten halben Stunde hatte sie es schließlich geschafft, der Stamm war im Ständer und alle Bolzen saßen fest.
Sie wollte gerade ins Schlafzimmer gehen, um die Kartons mit dem Baumschmuck zu holen, als sie innehielt. Auf dem Fernseher erschien das Bild einer dicklichen Frau in einem blauen Parka. Sie wurde von einer kleinen Menschenmenge umzingelt und weinte leise, als sie ins Mikrofon sprach. In der rechten unteren Ecke war das Bild eines Mannes eingeblendet. Eines Mannes, den Zoe sofort wiedererkannte.
“Rudy!”
Die Stimme der Frau zitterte, als sie sprach. “Was ist das für eine Welt, in der ein Bewaffneter mitten in der Nacht in dein eigenes Haus einbrechen und deinen Mann eiskalt töten kann? Und wofür? Ein paar Dollar, eine zehn Jahre alte Uhr und eine Kette, die weniger als hundert Dollar wert ist.”
Zoe schlug die Hand vor den Mund. Rudy war tot. Irgendjemand hatte ihn umgebracht.
“Rudy hat das nicht verdient.” Die Frau nahm das Taschentuch, das jemand aus der Menge ihr reichte. “Er war ein guter Mann. Sein Job war vielleicht nicht der sicherste der Welt, aber wenn er zu Hause war, sollte er sicher sein.”
“Haben Sie den Eindringling gesehen?”, fragte die Reporterin.
Die Frau schüttelte den Kopf. “Ich war im Badezimmer. Ich kann nicht länger als fünf Minuten weg gewesen sein.” Wieder fing sie an zu weinen und wurde von dem neben ihr stehenden Mann in den Arm genommen und fortgeführt.
Die Reporterin wandte ihr Gesicht der Kamera zu. “Das war Anita Goldberg, die Frau, jetzt Witwe von Rudy Goldberg. Mr. Goldberg wurde letzte Nacht in seinem Bett aus nächster Nähe erschossen, während er schlief. Auch wenn es so aussieht, als sei es ein Raubmord gewesen, wurde anscheinend nichts von größerem Wert mitgenommen.”
“Sheila”, konnte man die Stimme des Nachrichtensprechers aus dem Studio hören. “Sagt die Polizei etwas dazu, warum der Einbrecher Mr. Goldberg erschossen hat, obwohl der doch ganz ruhig in seinem Bett lag und schlief?”
“Sie sind sich nicht sicher, dass er geschlafen hat. Die Schublade seines Nachttischs, in der er seine 9-mm-Beretta aufbewahrte, war ein Stück weit aufgezogen, was danach aussieht, als hätte er den Einbrecher auf frischer Tat ertappt und noch versucht, nach seiner Pistole zu greifen.”
“Danke, Sheila.” Der Nachrichtensprecher erschien im Bild. “Das war Sheila McKnight, live von der Worth Street. Bleiben Sie einen Augenblick dran, nach einer kleinen Unterbrechung sind wir gleich wieder für Sie da …”
Zoe sackte auf einem Stuhl zusammen, die Hände noch immer wie erstarrt vor ihrem Mund. Rudy war umgebracht worden. So sehr sie auch versuchte zu glauben, dass es sich um einen schrecklichen Zufall handelte, einen dieser sinnlosen Gewaltakte, für die die Stadt so berühmt war, sie konnte es nicht. Warum Rudy? Und warum ausgerechnet jetzt?
Sie wollte Joe nicht schon wieder um Hilfe bitten, daher rief sie Detective O’Bryan vom Neunten Revier an und seufzte erleichtert, als sie ihn in der Leitung hatte. Er klang nicht begeistert, von ihr zu hören, und wurde noch stiller, als sie ihm
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