Abby Cooper 01 - Detectivin mit 7. Sinn
sagen konnte. Der Geistliche erwähnte Allisons Vorliebe für das Töpfern und die Natur, und das war‘s. Ich fragte mich, womit sie ihre Zeit auf Erden sonst noch verbracht hatte. Es musste in den zweiunddreißig Jahren doch auch Liebe und Fröhlichkeit, Monopoly, Kinofilme, Freunde und ... na ja, Leben gegeben haben. Aber vielleicht auch nicht.
Vielleicht hatte Allison immer im Schatten ihrer jüngeren, lebhafteren Schwester gestanden. Vielleicht hatte sie sogar durch Alyssa gelebt und nach ihrem Tod nur noch Leere empfunden.
Ich zog auch in Erwägung, ob Allison etwa die Wahrheit über den Tod ihrer Schwester entdeckt hatte, um dann auf einen selbstzerstörerischen Einfall hin den Mörder zu verhöhnen und ihr trauriges Ende zu provozieren. Welche Ironie, wenn die Wahrheit das Gegenteil von dem wäre, was alle glaubten. Was, wenn Alyssa diejenige wäre, die einem Mord zum Opfer gefallen war, und Allison aus lauter Trauer und Einsamkeit alle Vorsicht beiseitegelassen und Selbstmord begangen hätte, indem sie sich dem Mörder auslieferte?
Ich saß schaudernd in der Kirchenbank und ließ mir das durch den Kopf gehen. Die Melancholie legte sich auf mich wie eine Staubschicht und trübte den eigentlich schönen Tag.
Die Trauergemeinde begab sich schließlich zum Friedhof, aber ich beschloss, nicht mitzugehen. Ich verabschiedete mich von Connie und dem Ehepaar Gish und lief zu meinem Wagen. Als ich hinter dem Steuer saß, sah ich zu, wie Parker Gish und die anderen Sargträger Allisons Sarg in den Leichenwagen schoben. Ich runzelte böse die Stirn, als ich den Anwalt ein Gewicht heben sah, von dem er lieber die Finger lassen sollte. Infolgedessen trat er denn auch humpelnd von der Hecktür zurück. Manche Leute wollen einfach nicht hören.
Ein paar Stunden später, Eggy steckte sicher in seinem Transportbehälter, schaltete ich die Alarmanlage ein und schloss die Haustür zu, um am Bürgersteig auf den Flughafenshuttle zu warten. Von Dave war eine Nachricht auf dem AB, als ich von der Beerdigung zurückkam. Seine Schulter mache ihm noch Probleme, darum wolle er sie ein paar Tage schonen. Am Dienstagmorgen würde er aber wieder arbeiten. Ich hatte überlegt, ihn anzurufen und Bescheid zu sagen, dass ich dann noch in Boston sein würde. Aber er hatte einen Schlüssel und kannte den Alarmcode, weshalb ich ihm nur einen Zettel schrieb, dass ich bis Dienstagnachmittag verreist sei, und diesen an den Kühlschrank heftete.
Auch von Dutch war eine Nachricht auf dem AB gewesen, aber ich hätte ihm nicht am Telefon die Sache mit den Fotos erklären und außerdem rechtzeitig mit Packen fertig werden können. Ich würde es ihm erzählen, sobald ich wieder zu Hause war. Falls vor dem Flug noch Zeit wäre, könnte ich ihn ja vom Flughafen aus anrufen.
Als ich auf meinen Gartenweg trat, kam Mary Lou mir entgegen, im Arm zwei Kästen mit Pflanzen und diversen Werkzeugen. Ich stellte meinen Koffer ab und beeilte mich, ihr zu helfen.
»Das ist ja eine ganze Ladung, die du da hast«, sagte ich und nahm ihr einen Kasten ab.
»Danke. Ja, wir sind auf dem Anwesen in Birmingham fertig geworden und hatten noch jede Menge übrig. Ich dachte, die machen sich prima unter deiner Ulme.«
Die große Ulme hinter dem Haus spendete im Sommer wohltuenden Schatten und bekam im Herbst wahrscheinlich eine prächtige Laubfärbung. Ich stellte mir Mary Lous Blumen darunter vor und lächelte meine Nachbarin an. »Die werden toll aussehen. Danke, Mary Lou.«
»Willst du verreisen?«, fragte sie mit Blick auf mein Gepäck und stellte eine Blumenkiste auf die Vordertreppe.
»Ein paar Tage nach Boston. Ich habe so eine Ahnung, dass ich mal ein Weilchen verschwinden sollte.«
»Ach?«
»Ist eine lange Geschichte.«
In dem Moment kam der Flughafenshuttle. »Oh, das ist für mich. Soll ich dir eben noch helfen, das in den Garten zu tragen?«
»Nee, geh nur. Lass sie auf der Treppe stehen, ich bin sofort wieder hier. Wann kommst du zurück?«
»Dienstag. Reicht es, wenn ich dir das Geld für die Pflanzen dann erst gebe?«, fragte ich und setzte den Kasten auf die Treppe.
»Klar. Wir sehen uns dann«, antwortete sie. Lügner, Lügner!
Ich wunderte mich, wieso sich mein Lügendetektor meldete; das tat er bei Kleinigkeiten sonst nicht. Seltsam.
Der Fahrer des Shuttles hupte schon. Ich griff hastig nach dem Koffer und winkte Mary Lou zu. Als ich mich auf meinen Platz setzte, drehte ich mich zum Haus um und sah sie im hinteren Garten verschwinden.
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