Abby Cooper 01 - Detectivin mit 7. Sinn
Vorzimmer. Seine schwere Hand ruhte als herzliche Geste auf meiner Schulter.
»Abby, Sie sind unglaublich. Warten Sie ab, wenn ich das meiner Frau erzähle. Sagen Sie, haben Sie eine Geschäftskarte? Sie würde bestimmt gern zu einer Sitzung kommen.«
»Natürlich.« Ich wühlte in meiner Handtasche, bis ich eine gefunden hatte. »Aber schicken Sie sie erst nach der Hawaiireise zu mir. Ich möchte mich nicht verplappern und die Überraschung verderben.«
»Wahrscheinlich vermutet sie es schon. Meiner Frau entgeht so schnell nichts. Das ist der Hauptgrund, weshalb ich sie geheiratet habe - sie ist die Einzige, die mich im Griff hat.«
»Ich wünsche Ihnen viele glückliche Jahre zusammen. Und nochmals vielen Dank.« Ich winkte ihm zu, als ich die Kanzlei verließ.
Während der Heimfahrt dachte ich über die Entdeckungen des Nachmittags nach. Jetzt war klar, dass Marco sich nicht von Allison zu dem Mord hatte provozieren lassen. Und umso mehr war ich überzeugt, dass er mit dem Tod beider Schwestern nichts zu tun hatte. Die Bedrohung war aus Ohio gekommen, so viel stand für mich fest. Sie hatten außerordentlich unauffällig gelebt, verborgen in Royal Oak unter dem Schutz des elterlichen Konzerns. Doch dann waren sie aufgespürt worden.
Mir fiel allerdings keine Erklärung ein, warum der Täter zuerst nur Alyssa getötet hatte. Warum nicht beide gleichzeitig? Warum hatte er monatelang abgewartet und die andere dann brutal ermordet, ohne es wie einen Unfall aussehen zu lassen? Woher rührte der dramatische Wechsel in seinem Verhalten? Was hatten die Schwestern getan, um solch eine Rache heraufzubeschwören? Und wer war es, der sie sechs Jahre lang klammheimlich verfolgt hatte?
Diese Fragen schwirrten mir für den Rest des Tages durch den Kopf. Sie zogen mich wie ein Strudel in einen Abgrund aus Frustration und Verwirrung und stachelten mich zugleich an, tiefer zu graben und die Wahrheit herauszufinden.
9
Freitagvormittag machte ich schon nach der Elf-Uhr-Sitzung Mittagspause. Ich ging nach unten die Post holen und wollte dann zum Essen gehen. Die ganze Woche war ich nicht am Briefkasten gewesen, eine Aufgabe, die ich allzu gern vergaß. Schon als ich den Schlüssel im Schloss drehte, wusste ich, dass für den Postboten zu Weihnachten ein extradickes Trinkgeld fällig sein würde. Es hatte sich allerhand Post angesammelt, und der Bote hatte zwar sein Bestes getan, um die Briefe, Broschüren und Reklamezettel sowie einen großen braunen Umschlag in den kleinen Behälter zu stopfen, dennoch war alles ein wenig zerknautscht. Ich zerrte den Packen heraus und schloss die Metallklappe seufzend zu. Während ich versuchte, die Umschläge glatt zu streichen, schwor ich bestimmt zum hundertsten Mal, öfter den Briefkasten zu leeren.
Um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, wollte ich auch gleich den Scheck mit der nächsten Monatsmiete abgeben. Da ich schon mal da war, schwätzte ich ein bisschen mit Yvonne, der Hausverwalterin. Sie sagte mir, sie würde gern wieder zu einer Sitzung kommen - vor ein paar Monaten war sie bei mir gewesen und ich versprach ihr, den nächstmöglichen Termin für sie zu reservieren.
In den Broschüren blätternd, ging ich wieder nach oben. Als ich endlich aufblickte, zuckte ich erschrocken zusammen, denn eine Frau streckte den Kopf aus der Praxistür und sah den Flur entlang.
Im nächsten Moment begriff ich, dass dies Maggie war, die Massagetherapeutin, die Theresas Praxisraum übernommen hatte. Wir begegneten uns so selten, dass ich sie nicht gleich erkannt hatte.
»Hallo, Maggie! Lange nicht gesehen. Was tust du denn schon so früh hier?«
»Ach, hi Abby. Ich dachte mir, dass du ganz in der Nähe bist, weil die Tür nicht abgeschlossen war. Ich bereite gerade alles für einen Patienten vor, der heute Abend nach München fliegt und unbedingt vorher noch eine Massage braucht. Aus Gefälligkeit habe ich ihm einen Zwölf-Uhr-Termin gegeben.«
»Und nach dem hältst du gerade Ausschau?«, fragte ich.
»Tja, es ist seltsam. Ich war dabei, die Liege zu überziehen, als ich meinte, jemanden im Büro zu hören. Ich dachte, du wärst gekommen, und wollte dich begrüßen, aber es war niemand da. Dann bin ich ins Wartezimmer gegangen, und jetzt habe ich auf dem Hausflur nachgesehen.«
Meine Nackenhaare standen zu Berge, mir kroch es kalt über den Rücken. Alarmiert huschte ich an Maggie vorbei in die Praxis. Ich hatte von oben bis unten eine Gänsehaut und spürte noch schwach die Energie
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