Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
eine entscheidende Phase getreten. Gouverneur Bligh ist fest entschlossen, diesem skrupellosen und intriganten Macarthur ein für alle Mal den Prozess zu machen.«
»Bounty-Bligh war dazu schon entschlossen, als er das Amt des Gouverneurs übernahm, und das war im August des Jahres 1806 mein Sohn! Anderthalb Jahre, ohne dass er irgendwelche Fortschritte gegen diese Offiziers-Clique für sich hätte verbuchen können«, hatte Jonathan Chandler nüchtern festgestellt.
»Aber das hat sich geändert! Macarthur hat alles getan, um Gouverneur Bligh das Leben hier zur Hölle zu machen! Jeden dreckigen Trick, jede gemeine Verleumdung und jede Art von Bestechung oder Bedrohung hat er benutzt, um Blighs Reformen schon im Ansatz zu zerstören. Aber das hat er mit seinen Komplizen vom New South Wales Corps immer so geschickt angestellt, dass man ihm nie so richtig ans Zeug konnte. Doch jetzt hat er einen großen Fehler begangen, indem er Bligh mit offener Feindschaft entgegengetreten ist – und zwar in Wort und Schrift. Jetzt kann der Gouverneur ihn endlich festnageln und ihm den Prozess machen!«
»Fragt sich nur, warum John Macarthur so direkt geworden ist«, hatte Melvin zu bedenken gegeben. »Vielleicht ist das weniger ein Zeichen von Gedankenlosigkeit, was ich diesem durchtriebenen Burschen auch gar nicht zutrauen würde, als ein Beweis, wie wenig Bligh noch zu sagen hat. Vermutlich ist das Rum-Corps seiner Macht so sicher, dass es noch nicht mal mehr auf Äußerlichkeiten Rücksicht nehmen muss.«
»O nein, da kennt ihr Gouverneur Bligh schlecht!«, hatte Melvin vehement widersprochen. »Macarthur wird Ende Januar der Prozess gemacht – und zwar wird die Anklage auf Aufwiegelung und Volksverhetzung lauten! Diesmal kommt er nicht ungeschoren davon!«
»Na, auf diesen Prozess wird man gespannt sein dürfen«, hatte Jonathan Chandler zurückhaltend geantwortet. »Aber da das Gericht ja erst Ende Januar zusammentritt, wirst du ja nicht gleich morgen schon in Sydney sein müssen. Also bleib noch ein paar Tage.« Widerstrebend hatte Melvin sich dem Wunsch seines Vaters gefügt.
Nach Sydney zurückgekehrt, stellte sogar Abby schnell fest, dass sich in der Stadt etwas zusammenbraute, ganz wie Melvin gesagt hatte. Unzählige Gerüchte, viele davon so haarsträubend, dass sie dadurch fast schon wieder glaubhaft wirkten, machten die Runde. Einer wollte wissen, dass Gouverneur Bligh vor der Macht des Rum-Corps kapituliert und in London um seine Abberufung gebeten habe, während ein anderer Stein und Bein darauf schwor, dass John Macarthur die Henkerschlinge schon so gut wie um den Hals trage. Manche schienen sich geradezu einen Sport daraus zu machen, täglich mindestens drei Gerüchte in die Welt zu setzen, die sich alle widersprachen.
Doch in einem waren sich alle einig: nämlich, dass irgendetwas von schwer wiegender Bedeutung für die Kolonie passieren würde.
Das politische Unwetter, das sich in den letzten Monaten über New South Wales zusammengeballt hatte, meldete sich am 25. Januar des Jahres 1808 mit den ersten Donnerschlägen.
An diesem Tag trat das Militärgericht zusammen, um John Macarthur den Prozess zu machen. Doch dazu ließ es der ehemalige Offizier und jetzige Großgrundbesitzer erst gar nicht kommen. In einer langen und sehr ausfallenden Rede bezichtigte er Richard Atkins, den Vorsitzenden des Gerichtes, der Voreingenommenheit und bescheinigte ihm mangelnde Fähigkeiten als Richter.
Richard Atkins hörte sich die immer schamloseren Beleidigungen eine Weile an. Dann unterbrach er ihn, verwahrte sich gegen die Diffamierungen des Angeklagten und forderte die sechs Offiziere, die mit ihm das Gericht bildeten, auf, John Macarthur allein dafür schon zu einer Gefängnisstrafe zu verurteilen. Dann erhob er sich von der Richterbank und begab sich in die Residenz des Gouverneurs, um sich mit Bligh zu beraten, was nun zu geschehen habe.
Die sechs Offiziere nahmen die Gelegenheit wahr, um John Macarthur in Abwesenheit des Vorsitzenden Richters Recht zu geben und von Bligh die Einsetzung eines neuen Vorsitzenden zu verlangen. Als der Gouverneur ablehnte, vertagten die sechs Offiziere den Prozess auf den nächsten Tag und entließen John Macarthur, ihren früheren Offizierskameraden, gegen eine geringe Kaution auf freien Fuß.
Seine Freiheit genoss Macarthur jedoch nicht lange. Der Kommandeur der Militärpolizei, ein Anhänger von Bligh, ließ den aufrührerischen Großfarmer schon wenige Stunden später auf
Weitere Kostenlose Bücher